WeCrashed
Der Aufstieg und Fall eines aufgeblasenen Überfliegers
Die Finanzwelt ist hochkomplex. Das ist einer der Gründe, warum Olaf Scholz überhaupt Bundeskanzler werden konnte. Hätten es die Medien verstanden, dem Volk den Cum-Ex-Skandal simpel zu erklären, wäre der ehemalige Hamburger Bürgermeister niemals der mächtigste Politiker dieses Landes geworden. Aber die Menschen schalten ab, weil der Vorgang zu undurchsichtig ist und außer ein paar peinlichen Scholzschen Erinnerungslücken wenig hängenbleibt. Dieses Problem lösen Lee Eisenberg und Drew Crevello in ihrer schillernden Finanz-Serie „WeCrashed“ wesentlich eleganter und vor allem effektiver, weil sie komplizierte Sachverhalte für das Publikum an der Oberfläche spielend nachvollziehbar machen. Sie erzählen in acht elektrisierenden Folgen vom Aufstieg und Fall des exzentrischen Investor-Wunderkinds Adam Neumann, der mit ein bisschen geliehenem Anfangskapital und einer Finanzspritze vom Schwiegervater ein Imperium aufgebaut hat, das zu seiner Hochzeit 47 Milliarden Dollar wert war.
Der gebürtige Israeli Adam Neumann (Jared Leto) träumt in New York vom glamourösen Leben als großer Geschäftsmann, doch erst seine Heirat mit der wohlhabenden Society-Frau Rebakah Paltrow (Anne Hathaway), einer Yogalehrerin aus gutem Hause, ist die Initialzündung für sein Business. Denn die Cousine von Hollywoodstar Gwyneth Paltrow bringt eine Mitgift von einer Million Dollar mit in die Ehe, womit Neumann 2010 sein Co-Working-Space-Unternehmen WeWork gründet. Mit zusätzlich geliehenem Geld und Kapital seines Firmenpartners Miguel McKelvey (Kyle Marvin) baut Neumann auf schwindelerregende Expansion und eröffnet immer mehr Niederlassungen seiner Büros, die er rund um den Globus an hippe Millennials vermietet, die Spaß bei der Arbeit haben wollen. Denn WeWork verkauft eine komplett neue Ideologie, was sich in einer ausgeflippten Firmenkultur widerspiegelt: Die Mitarbeiter werden mit Partys am laufenden Band geködert, arbeiten für wenig Geld mehr als ihnen guttut und werden mit Anteilen für einen geplanten Börsengang ruhiggestellt. Als sich die fragwürdigen Investments häufen und das skurrile Unternehmerpaar keine Bodenhaftung mehr hat, kippt die Firma in eine tiefe Krise, die den fest geplanten Börsengang in Frage stellt.
Jared Leto brilliert als flamboyanter Unsympath
„WeCrashed“ basiert auf dem gleichnamigen sechsteiligen Podcast. Die Serienschöpfer Lee Eisenberg („The Office“) und Drew Crevello orientieren sich an der Realität und mischen bei der Erzählung fiktive Figuren dazu, um die Leerstellen dieses Konstrukts auszufüllen. Schließlich war niemand dabei, wenn sich die Neumanns Ehekräche ausgefochten haben oder hinter verschlossenen Türen halsbrecherische Finanzdeals geschlossen wurden. Aber alles steht und fällt mit den beiden Hauptfiguren. Und hier landen die Filmemacher gleich zwei Volltreffer. Es ist nahezu unmöglich, die beiden unausstehlichen Charaktere zu mögen, aber dennoch ist es wahnsinnig faszinierend, ihnen bei ihrem überkandidelten Treiben und ihrer Gier nach Aufmerksamkeit zuzusehen. Das ist natürlich ein Verdienst von Jared Leto („House Of Gucci“, „Dallas Buyers Club“), der seinen Adam Neumann als charmanten Schaumschläger spielt, für den die Bezeichnung „flamboyant“ erfunden wurde.

Neumann ist ein größenwahnsinniger Scharlatan, der irgendwann fest an seine Lügen glaubt und sie somit wahrmacht – ähnlich wie ein Donald Trump, der wahrscheinlich selbst glaubt, was er sagt. Dass Neumann seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter letztendlich brutal ausbeutet und jeden feuert, der auch nur ein bisschen aufmuckt, konterkariert die Firmenphilosophie höchstmöglich. Aber gerade diese schreienden Widersprüche sind das Spannende an „WeCrashed“. Neumann behauptet, WeWork wäre ein Tech-Firma – das neue Amazon – um Investoren anzulocken und ihnen seine Philosophie zu verhökern. Er verkauft aber nur gigantische Mengen an heißer Luft – und fast alle gehen dem brillanten Redner und Menschenfänger auf den Leim. Obwohl jedem Zuschauer klar ist, dass die Geschichte nicht gut enden wird, kann man bei der sich anbahnenden Katastrophe einfach nicht wegsehen.
Anne Hathaway ist eine Wucht als affektierte Society-Zicke
Dieses Prinzip gilt auch für die von Anne Hathaway („Interstellar“, „Les Miserables“) grandios affektiert gespielte Rebekah Neumann, die es im Grunde nicht verkraften kann, dass sie eine untalentierte Schauspielerin ist, der der Ruhm ihrer Cousine Gwyneth verwehrt blieb. Diesen will sie sich auf andere Weise holen. Sie nennt sich großspurig Chief Branding Officer des Milliarden-Unternehmens, ohne etwas Effektives beizusteuern. Abgehoben schwebt sie durch die Firma, ohne dass sie ernst genommen wird – und trotzdem ist sie gefürchtet, weil ein frecher Mitarbeiter, der ihren Teppich mit Schuhen betritt auch sehr schnell entlassen ist – wegen „schlechtem Karma“. Aber trotz gelegentlichen Ehestreitigkeiten unterstützt sie ihren Mann bedingungslos – sie sind Geschwister im Geiste, die es mit Inbrunst genießen, sich auf dem Cover der „Vanity Fair“ zu sonnen. Aus dem Nebencast sticht „Emergency Room”-Star und „Top Gun“-Goose Anthony Edwards heraus, der als treuer Top-Banker lange an Neumanns Seite steht und ihn gegen Angriffe von außen schützt. Der Rest der Besetzung fügt sich harmonisch ein – denn es dreht sich alles um Adam und Rebakah Neumann.
Am Ende ist den Serienschöpfern die Wirklichkeit ein wenig peinlich
SPOILER: Es ist die absolute Ironie des Schicksals und bezeichnend für das Talent Neumanns, dass er zwar als gefallener Business-Superstar aus dem WeWork-Desaster herausgeht, aber letztendlich auch mit einer Abfindung von 1,7 Milliarden Dollar – obwohl sein Unternehmen am Ende nur noch einen Bruchteil der einst 47 Milliarden Dollar wert ist. Tausende Mitarbeiter gehen derweil leer aus und bleiben auf falschen Versprechungen vom Reichtum sitzen, während ihr CEO butterweich auf Milliarden fällt. In der Serie versuchen die Creator diese moralische Gemeinheit des Systems erzählerisch etwas abzufedern und zu verwässern, um nicht das Unmoralische triumphieren zu lassen, aber der Widerstand ist zwecklos. Ein Blick ins Internet nach dem Schauen der Serie bringt die komplette Ernüchterung. SPOILER ENDE.
Fazit: Lee Eisenberg und Drew Crevello schaffen das Kunststück, in dem rastlosen Finanz-Drama „WeCrashed“ ein vermeintlich dröges Finanzthema überlebensgroß zu einem schillernden Kaleidoskop der Eitelkeiten aufzublasen und damit köstlich zu unterhalten.
Streaming: „WeCrashed“ ist seit dem 18. März 2022 im Abo auf der Streamingplattorm Apple+ abrufbar.
Wertung | 4 / 5 |
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Produktionsland | USA 2022 |
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