Break Point

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Netflixs hochglänzende Tennis-Doku-Serie bietet mehr wertvolle Insight als hohle Stanzen

Nachdem Netflix mit der beliebten Doku-Serie „Formula 1: Drive To Survive“ den Motorsport erobert hat, erweitert der Streaminggigant seine Sport-Expertise mit Einblicken in den Tenniszirkus. Ein Jahr lang begleiteten Regisseur Martin Webb („Formula 1: Drive To Survive“) und sein Team zehn ausgewählte große und kleine Stars der Szene bei den wichtigsten Turnieren des Jahres. Die ersten fünf von zehn Episoden der Dokumentationsreihe „Break Point“ zeichnen den Weg von den Australian Open bis zu den French Open nach. Die Dokumentation bietet zwar nicht die tiefen Einblicke in das Geschäft wie zuletzt „Andy Murray: Resurfacing“ (2019) oder „Untold: Breaking Point“ (2021), aber das auf Hochglanz polierte und brillant montierte Schnittgewitter hat viel Drive – auch wenn die Geschichten der zehn porträtierten Tennisstars ganz unterschiedlich fesselnd sind.

Eines muss man Martin Webb lassen: „Break Point“ sieht einfach fantastisch aus und berichtet direkt aus dem Inneren der Maschinerie – mit voller Unterstützung von ATP und WTA. Das heißt: Es ist keine verstohlene Doku, die ein paar laue Einblicke präsentiert, sondern die beiden großen Tour-Veranstalter lassen sich und ihren Stars über die Schulter schauen. Aber sicher nicht, um eine schonungslose Analyse des Systems zu ermöglichen, sondern schlicht, um neue Zuschauerschichten für diesen tollen Sport zu erschließen. Doch dieser Konstruktionsfehler bremst „Break Point“. Die Tennisjournalistin Courtney Nguyen, die die Serie ebenso wie Ex-Topstars wie Andy Roddick und Maria Sharapova als Expertin mit Kommentaren zu den Spielern kompetent begleitet, wird dazu genötigt, zwischendurch die Grundregeln des weißen Sports zu erklären. Da kommt man sich als Tennisfan schon etwas veralbert vor. Und so kratzt „Break Point“ an der glatt polierten Oberfläche, gibt aber dennoch genügend Einblicke hinter die Kulissen, die für echte Fans spannend sind.

Folge 1: „Der Außenseiter“ (Nick Kyrgios & Thanasi Kokkinakis)

Die erste Episode „Der Außenseiter“ zeichnet den Weg von Nick Kyrgios zu den Australian Open 2022 nach, wo der Australier trotz seines Ausscheidens in der zweiten Runde gegen den ehemaligen Weltranglistenersten Andrei Medvedev Geschichte schreibt, indem er mit seinem Jugendfreund Thanasi Kokkinakis das Doppel gewinnt. Kyrgios präsentiert sich als Outsider, der die Branche im Grunde verachtet und nach seinen eigenen Regeln spielt, was sich in seinen extremen Ausbrüchen auf dem Platz oder seiner stark reduzierten Präsenz auf der Tour ausdrückt. Der Auftakt bietet einige spannende Innenansichten seines ersten Grand-Slam-Triumphs im Doppel, ist aber inhaltlich vorhersehbar – die Episode ist unterhaltsam, bietet aber wenig Neues.

Episoden-Wertung: 3/5

Nick Kyrgios in „Break Point“ (© Netflix)

Folge 2: „Nimm die Krone“ (Matteo Berrettini & Ajla Tomljanovic)

Griffiger ist schon die zweite Folge „Nimm die Krone“. Wir sind immer noch bei den Australian Open. Matteo Berrettini wittert nach dem Corona-bedingten Ausschluss von Topfavorit Novak Djokovic seine Chance auf den ersten Grand-Slam-Titel. Das Filmteam begleitet den selbstbewussten Italiener und seine australische Freundin Ajla Tomljanovic. Die Top-40-Spielerin hat mit ihrer schwachen Leistung auf dem Court mental schwer zu kämpfen. Auch wenn zwischen den beiden nicht alles glatt läuft und ihr Hotelzimmer in Melbourne ein Messie-Albtraum ist, bilden sie dennoch ein harmonisches Paar – das sich jedoch wenige Monate später nach drei gemeinsamen Jahren trennt (was in der Dokumentation nicht gezeigt wird). In dieser Episode wird der Touralltag am besten sichtbar.

Episoden-Wertung: 3,5/5

Matteo Berrettini in „Break Point“ (© Netflix)

Folge 3: „Kalifornische Träume“ (Taylor Fritz & Maria Sakkari)

In „Kalifornische Träume“ geht es um den US-Boy Taylor Fritz und seinen völlig überraschenden Triumph beim ATP-1000-Turnier in Indian Wells. Auch diese hochinteressante Episode bietet etwas, was man als Tennisfan so noch nicht auf dem Schirm hatte, denn Fritz entpuppt sich als kompromissloser Ehrgeizling, der sich von seinem Sunnyboy-Image abhebt. Vor dem Finale gegen Rafael Nadal, der bis dahin jedes Match des Jahres gewonnen hatte, verletzt sich Fritz am Fuß und kann nach menschlichem Ermessen nicht zum bis dahin wichtigsten Match seiner Karriere antreten. Doch er lässt sich fitspritzen und betäuben – und gewinnt. Spannend sind auch die Einblicke in das Tourleben von Maria Sakkari, die ebenso vom Ehrgeiz getrieben ist wie Fritz, aber dennoch sehr sympathisch bleibt. Aus Ärger über eine Niederlage zieht sie sich sogar für vier Tage vom Tennis zurück.

Episoden-Wertung: 3,5/5

Maria Sakkari in „Break Point“ (© Netflix)

Folge 4: „Große Erwartungen“ (Paula Badosa & Ons Jabeur)

Die Episode „Große Erwartungen“ ist die schwächste der ersten Halbstaffel, denn die Geschichten um die WTA-Stars Paula Badosa und Ons Jabeur sind eher langweilig und ohne großen emotionalen Reiz. Jabeurs Familiengeschichte mit ihrem Mann als Trainer und einem rein tunesischen Team bietet noch ein paar interessante Ansätze, aber vom Hocker reißt einen die Episode nicht. Am Ende bleibt wenig hängen.

Episoden-Wertung: 2,5/5

Paula Badosa in „Break Point“ (© Netflix)

Folge 5: „Der Sandkönig“ (Felix Auger Aliassime & Casper Ruud)

Die fünfte Folge „Der Sandkönig“ muss differenziert betrachtet werden. Eine Folge über den „King Of Clay“ ohne ein einziges persönliches Wort von Rafael Nadal ist wenig spannend – der Titel der Folge ist irreführend. Vielmehr geht es um den Weg des Aufsteigers Casper Ruud, der in der Finalteilnahme bei den French Open gipfelt. Dieser verläuft allerdings so geradlinig, dass er fast schon fade wirkt. Auch die Aussagen des Norwegers sind sehr routiniert und glatt. Irgendwann in der Mitte dieser Episode fällt der Zuschauer aber fast vom Sofa. Nachdem die ohnehin schon spannende Zusammenarbeit zwischen Hot Shot Felix Auger Aliassime und Rafael Nadals Onkel und Ex-Trainer Toni Nadal vorgestellt wurde, haut „Onkel Toni“ während der French Open plötzlich einen raus. Als sein kanadischer Schützling Auger Aliassime im Achtelfinale des Grand-Slam-Turniers auf Nadal trifft, erklärt Toni Nadal, dass er natürlich für seinen Neffen sei und Auger Aliassime an diesem Tag nicht unterstützen werde. Diese überraschende Kontroverse, die seine Professionalität ernsthaft in Frage stellt, ist einer der Höhepunkte von „Break Point“.

Episoden-Wertung: 3/5

Felix Auger Aliassime in „Break Point“ (© Netflix)

Zverev ist der Geist von „Break Point“

Die Auswahl der Porträtierten ist mehr oder weniger gelungen, doch der verengte Blickwinkel hat auch seine Schattenseiten: Die ganz großen Geschichten der ersten Hälfte des Tennisjahres 2022 werden überhaupt nicht erzählt. Triumphator Rafael Nadal kommt nur in Pressekonferenzen zu Wort, kein persönliches Wort des Spaniers. Auch die Farce um den Rauswurf von Platzhirsch Novak Djokovic aus Australien wird nur sehr stiefmütterlich mit ein, zwei Kameraschwenks aus dem Auto abgehandelt. Und was ist mit dem größten Drama der Saison? Alexander Zverevs tragischem Verletzungs-Aus im Halbfinale der French Open gegen Nadal. Der Deutsche, lange Zeit die Nummer 2 der Welt, kommt in der Dokumentation überhaupt nicht vor. Wer neu in den Sport einsteigen will, erfährt von Zverev nichts. Er ist der Geist von „Break Point“.

Fazit: Die hochglänzende und extrem schnell geschnittene Netflix-Doku-Serie „Break Point“ bietet einige wertvolle Einblicke in die Tennisszene und elektrisierende Bilder von den großen Courts rund um den Globus. Da ohnehin vor allem Tennisfans zuschauen, ist der Einsteigerservice über die Grundlagen des Sports eine ärgerliche Randnotiz. Die Vorfreude auf weitere fünf Folgen ab Juni 2023 ist ungebrochen – denn ist es noch Luft nach oben.

Streaming: „Break Point“ ist seit dem 13. Januar 2023 im Abo auf Netflix abrufbar.

Wertung 3 / 5
Produktionsland

Großbritannien 2023

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