Weißes Rauschen

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Eine schillernde Paranoiastudie als schwarze Screwball-Komödie

1985 schrieb Don DeLillo mit „Weißes Rauschen“ einen der großen amerikanischen Romane. Abseits von einer Bühnenadaption war der universelle Stoff bisher unangetastet von Hollywood, weil er schlicht als unverfilmbar galt – Auftritt: Noah Baumbach! Der Indie-Regisseur adaptiert diese schillernde Satire über eine skurrile amerikanische Intellektuellen-Patchwork-Großfamilie als schrägen Genremix aus schwarzer Komödie, Paranoiastudie, Katastrophenfilm und Indie-Drama. Auch wenn „Weißes Rauschen“ durch seine erzählerischen Unebenheiten und Verrücktheiten Baumbachs am schwersten zugängliches Werk ist, unterhält dieses in den 80er Jahren angesiedelte Spektakel durch famose Einzelszenen und kühne Ideen, bei denen wahrscheinlich nicht jeder im Publikum immer mitgehen kann.

Der Familienvater Jack Gladney (Adam Driver) lehrt in der Stadt Blacksmith im mittleren Westen der USA „Hitler-Studien“ und gilt landesweit als einer der größten Experten auf diesen Gebiet. An seinem Provinz-College wird er für seine unorthodoxen Vorlesungen von seinen Studenten und Mitprofessoren wie ein Rockstar gefeiert. Jack lebt mit Babette (Greta Gerwig) in vierter Ehe zusammen – gemeinsam mit ihren vier Kindern Debbie (Raffey Cassidy), Heinrich (Sam Nivola), Steffie (May Nivola) und Wilder (Henry und Dean Moore). Jack und Babette leiden unter einer Art Angststörung, sie fürchten sich beide mehr als andere Menschen vor dem Tod – obwohl im Moment nichts auf ein schnelles Ableben hindeutet. Während Babette sich in ein unregistriertes Medikament namens Dylar flüchtet, geht der zurückhaltende Jack in seinen exzentrischen Uni-Auftritten seiner Hitler-Studien auf. Als eines Tages bei einem katastrophalen Chemieunfall ein Laster mit einem Güterzug zusammenstößt, verbreitet sich eine riesige, tödliche Abgaswolke über der Kleinstadt aus. Panik macht sich breit.

Greta Gerwig, May Nivola, Adam Driver, Samuel Nivola und Raffey Cassidy in „Weißes Rauschen“ (© Netflix)

Noah Baumbach trifft Wes Anderson

Auf den ersten Blick mag „Weißes Rauschen“ wie ein typischer Stoff für Indie-Darling Noah Baumbach („Marriage Story“, „Frances Ha“) wirken. Eine typische amerikanische Bildungsbürger-Familie, der ein erstaunlich unförmiger Adam Driver („House Of Gucci“) mit stattlicher Plauze vorsteht, kämpft mit den Unwägbarkeiten des Lebens und versucht das Beste daraus zu machen. Doch schon mit der Eröffnungssequenz schleichen sich – im positiven Sinne – Störfaktoren ein. Da referiert Don Cheadle („Traffic“) als „Elvis“-Professor über die Schönheit von Autounfällen im Kontext zu Hollywood und der amerikanischen Gesellschaft, sodass man sich eigentlich in einem Absurditätenkabinett von Wes Anderson („Grand Budapest Hotel“) wähnt.

Elvis und Hitler

„Weißes Rauschen“ ist in drei großen Episoden erzählt und besticht am eindrucksvollsten durch herausragende Einzelelemente. Cheadles Professor lehrt über Elvis und möchte denselben Grad an Bewunderung erreichen wie sein Freund Jack Gladney mit seinen Hitler-Studien – das mündet in eine atemberaubend-hypnotische Sequenz, in der die beiden Experten ihren Vortrag synchronisieren und wie Schamanen umeinander her tanzen, sich mit Fakten bombardieren! Elvis Vs. Hitler – oder besser: Elvis und Hitler, schließlich haben sie so viel gemeinsam. Von Spektakel dieser Güte bietet „Weißes Rauschen“ einiges – bis hin zum überragenden Abspann, der als überkandideltes Supermarkt-Musical choreographiert ist. Dazwischen hat Baumbach immer wieder Mühe, die ganzen verrückt-verschrobenen Storyelemente zusammenzuhalten – denn die Brüche zwischen den Episoden sind hart. Langweilig wird „Weißes Rauschen“ nie, aber der Fokus geht hier und da verloren. Übergeordnet erkundet Baumbach auf allen Ebenen das Motiv der Todesangst, womit jeder der betroffenen anders umgeht.

Fazit: Noah Baumbachs schwarz-satirische Indie-Komödie „Weißes Rauschen“ mag in den 80er Jahren spielen, reflektiert aber spielerisch die Gegenwart mit den großen Problemen und Ängsten der Menschen. Schwere Themen wie Tod und Depression werden leichtfüßig verarbeitet, sodass man das eigene Lachen manchmal für unangemessen hält.

Deutscher Kinostart von „Weißes Rauschen“: 8. Dezember 2022.

Streaming: Ab dem 30. Dezember 2022 im Abo auf Netflix abrufbar.

Wertung4 / 5
Produktionsland

USA 2022

Cast & Crew

Adam Driver

Jack Gladney

Greta Gerwig

Babette Gladney

Don Cheadle

Prof. Murray Siskind

Sam Nivola

Heinrich

May Nivola

Steffie

Jodie Turner-Smith

Winnie Richards

André Benjamin

Elliot Lasher

Lars Eidinger

Arlo Shell

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