The Whale

2023117 minab 12,

Ein emotionales Charakterdrama, in dem ein sensationeller Brendan Fraser alle an die Wand spielt

Der Abenteuer-Blockbuster „Die Mumie“ (1999) machte Brendan Fraser groß und beendete mit dem lauen dritten Teil „Die Mumie – Das Grabmal des Drachenkriegers“ (2008) gleichzeitig seine Karriere als Filmstar – danach ging es schleichend bergab in die Vergessenheit. Doch auf dem Tiefpunkt im Jahr 2022 gelang dem kanadisch-amerikanischen Schauspieler eines der größten Comebacks der Hollywood-Geschichte – vergleichbar mit der Wiederauferstehung von John Travolta in „Pulp Fiction“ (1994). In Darren Aronofskys Verfilmung des Theaterstücks „The Whale“ mutiert Fraser zum 270-Kilo-Mann und liefert in dem hochemotionalen Charakterdrama um eine tief verletzte Seele auf der Suche nach Erlösung die Performance seines Lebens. Die hochverdiente Auszeichnung mit dem Oscar für den besten Hauptdarsteller ist da nur die logische Konsequenz. Doch abgesehen von Frasers herausragender Leistung in diesem Kammerspiel, das die Wohnung der Hauptfigur Charlie kaum verlässt, bietet „The Whale“ nur solide Dramakost und einige Klischees.

Irgendwo in Idaho: Der Englischlehrer Charlie (Brendan Fraser) haust völlig zurückgezogen in seiner kleinen Wohnung und gibt online Schreibkurse für Studenten, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Während des Unterrichts lässt er die Kamera immer aus und erfindet dafür irgendwelche Ausreden. Nach einem schweren Schicksalsschlag, als er seinen geliebten Mann Alan verlor, entwickelte Charlie eine hartnäckige Essstörung, die sein Gewicht auf 270 Kilo anschwellen ließ. Der Einsiedler schafft es kaum noch, vom Sofa aufzustehen. Es steht nicht gut um Charlies Gesundheit, ausgerechnet als er schwere Herzprobleme bekommt, klopft der junge Missionar Thomas (Ty Simpkins) an seine Tür – und hilft dem Patienten. Ansonsten kümmert sich die Krankenschwester Liz (Hong Chau) aufopferungsvoll um ihren Freund. Charlie versucht derweil, wieder Kontakt zu seiner 17-jährigen Tochter Ellie (Sadie Sink) aufzunehmen, die er seit neun Jahren nicht mehr gesehen hat. Damals hat er sein Kind und seine Frau Mary (Samantha Morton) für einen seiner Studenten verlassen. Das Trauma wirkt bis heute in der zerstörten Familie nach.

Brendan Fraser in „The Whale“ (© Plaion Pictures)

Regieextremist Darren Aronofsky in seinem Element

Darren Aronofsky („Black Swan“, „The Wrestler“) ist einer der führenden Regieextremisten in Hollywood. Ein zentrales Thema, das sich wie ein roter Faden durch sein Werk zieht, ist die Auseinandersetzung mit der menschlichen Psyche und ihren Abgründen. In seinen oft radikalen Filmen porträtiert der New Yorker Charaktere, die von Obsessionen, Selbstzerstörung und dem Streben nach Perfektion geprägt sind. Dabei geht Aronofsky gerne an die Grenzen des Erträglichen („Requiem For A Dream“, „Mother!“) und erzeugt damit eine intensive emotionale Wirkung beim Publikum. Seine Werke sind nie leichte Unterhaltung, sondern intensive Erlebnisse, die den Zuschauer mit existenziellen Fragen und moralischen Dilemmata konfrontieren.

Drahtseilakt mit Brendan Fraser gelingt

Auch wenn der Filmemacher „nur“ das gleichnamige erfolgreiche Theaterstück von Samuel D. Hunter verfilmt, macht er sich den Stoff vollständig zu eigen. „The Whale“ ist unverkennbar ein Darren-Aronofsky-Film, der sich nahtlos in die obige Beschreibung seines bisherigen Schaffens einfügt. Und doch ist das Kammerspiel etwas Besonderes, denn dem Regisseur gelingen gleich zwei Stunts: Obwohl „The Whale“ fast ausschließlich in einer schummrigen und chaotischen Wohnung spielt, vermittelt er durch die Verwendung des altmodischen 4:3-Bildformats (wie zuletzt auch in „Das Lehrerzimmer“) zwar ein Gefühl der Enge und des Eingesperrtseins. Dieser inszenatorische Kniff der Reduktion unterstützt aber vielmehr die Figurenzeichnung, als dass er den Erzählfluss einschränkt, weil eben kaum Abwechslung durch die Schauplätze entsteht.

Dazu glückt Aronofsky der heikle Drahtseilakt, Hauptdarsteller Brendan Fraser in einen 200 Kilo schweren Fatsuit zu stecken, ohne dass es unnatürlich wirkt und sich Interessengruppen darüber aufregen (weil Fraser weder 270 Kilo wiegt noch schwul ist). Denn die Illusion ist perfekt, so gut haben die Maskenbildner gearbeitet. Jeden Tag am Set brauchte der Schauspieler vier Stunden, um in das dicke Kostüm zu schlüpfen, und eine Stunde, um es nach Drehschluss wieder auszuziehen, wie er in der Talkshow von Jimmy Fallon gestand.

Sadie Sink in „The Whale“ (© Plaion Pictures)

Ein schmerzhafter Film voller Hoffnung

Wer sich ein bisschen mit Blutdruckwerten auskennt, wird ziemlich am Anfang von „The Whale“ innerlich schockiert zusammenzucken: Als Liz Charlies Blutdruck misst, zeigt das Gerät 238 zu 134 an! Das ist nahe am klinischen Tod. Der Anblick dieser Figur des Charlie fällt schwer, so dick ist er, auch weil er jeden Abend zwei üppig belegte Mega-Pizzen vom Lieferservice inhaliert. Immer wieder bohrt Aronofsky hier mit seinen Figuren nach. „Findest du mich abstoßend?“, lässt er Charlie fragen. Die Antworten fallen unterschiedlich aus. Es kommt darauf an, wie man diesen Menschen mit all seinen Problemen sieht. Einerseits ist es trostlos und schmerzhaft, Charlie beim Sterben zuzusehen (der Film ist in Kapitel von Montag bis Freitag unterteilt), doch immer wieder schwingt ein Hoffnungsschimmer mit, wenn Fraser mit seiner sanften und doch eindringlichen Stimme so viel Positivität verbreitet, dass es seine Mitmenschen schmerzt. Und es ist Aronofskys und natürlich auch Frasers Verdienst, dass man sich als Zuschauer auf diesen so verletzlichen Charakter einlässt, mit ihm mitfühlt und am Ende vielleicht ganz anders auf seine Situation blickt.

Nicht ohne Klischees

Frasers außergewöhnliche Leistung zerrt an den Nerven der Zuschauer, während sein Charlie durch ein tiefes Tal aus Trauer, Schuld und der Suche nach Erlösung geht. Er ist ein zurückgezogener, gebrochener Mann, der sich von der Welt abgeschottet hat. Belastet durch die persönliche Tragödie des Todes seines Geliebten, findet Charlie Trost in einer positiven Lebenseinstellung und darin, all sein Geld für seine rebellische Tochter zu sparen. Einerseits hat Charlie angeblich keine Kohle für das Krankenhaus, andererseits verspricht er seiner Tochter eine sechsstellige Summe. Diese Konflikte streut Aronofsky immer wieder als kleine Wendungen ein. Sie halten die Geschichte über zwei Stunden am Laufen, auch wenn sie nicht besonders tiefgründig sind. Das gilt auch für die dick aufgetragene Moby-Dick-Metapher, die sich durch den ganzen Film zieht.

Hong Chau in „The Whale“ (© Plaion Pictures)

Denn dass „The Whale“ nie langweilig wird, liegt eher an Brendan Frasers ebenso herzzerreißendem wie nuanciertem Spiel als an der Handlung, die um einige Klischees nicht herumkommt – etwa die rebellische Tochter, die von ihrer Mutter als „böse“ abgestempelt wird, während Charlie sie zur „Heiligen“ erklärt, oder die ganze dogmatisch konstruierte Geschichte um den jungen Missionar der „New Life“-Kirche.

Fazit: „The Whale“ ist ein berührendes, zwischen Melancholie und Hoffnung balancierendes Charakterpsychogramm, das die Tiefen menschlicher Emotionen auslotet und trotz einiger Plattitüden beim Publikum einen bleibenden Eindruck hinterlässt, weil man den famosen Hauptdarsteller Brendan Fraser als 270-Kilo-Mann einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommt.

Deutscher Kinostart von „The Whale“: 27. April 2023.

Wertung 3,5 / 5
Produktionsland

USA 2022

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