The Killer

2023119 minab 16,

Auf das Wesentliche reduzierter, stilvoll-eleganter Psycho-Thriller

Ausnahmeregisseur David Fincher steht für komplexe Thriller-Meisterwerke wie „Zodiac“, „Sieben“, „Fight Club“, „Gone Girl“ oder „Verblendung“. Der Autodidakt, der zu Beginn seiner Karriere als Mitarbeiter von George Lucas‘ legendärer Special-Effects-Schmiede ILM an 80er-Jahre-Legenden wie „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ und „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ mitwirkte, gilt nicht nur als Wunderkind, sondern vor allem als Perfektionist. Nicht überraschend also, dass seine Filme von absoluter Akribie geprägt sind. Für sein neuestes Werk hat Fincher allerdings einen scheinbar radikalen Kurswechsel vollzogen. Der Neo-Noir-Psycho-Thriller „The Killer“ ist simpel, fast oberflächlich konstruiert und hakt in abgehacktem Rhythmus sieben, auch durch Einblendungen markierte Stationen einer Odyssee eines eiskalten, aus dem Gleichgewicht geratenen Auftragskillers ab. Dazu mischt der Regisseur eine nihilistische Komik, so dass das Publikum die Geschichte nie ganz ernst nehmen sollte. Doch auch wenn man Finchers für den Streaminggiganten Netflix produzierten Rache-Thriller als kleine Fingerübung für zwischendurch sehen kann, bleibt er sich insofern treu, als „The Killer“ bei aller Einfachheit filigran und gewohnt stilsicher inszeniert ist und starke Schauwerte bietet.

Ein namenloser Auftragskiller (Michael Fassbender) bereitet sich in Paris auf seinen neuesten Auftrag vor. Er arbeitet nach Ritualen, die er in seiner langen Karriere als Freiberufler perfektioniert hat. Yoga. Essen. Observieren. Und immer die Nerven behalten. Den Auftrag erhält er von einem Anwalt namens Hodges (Charles Parnell). Wochenlang hat er das Hotelzimmer seines Opfers (Endre Hules) aus dem gegenüberliegenden Gebäude beobachtet, jetzt ist der Moment gekommen. Mit einem Präzisionsgewehr greift der Killer an – und verfehlt sein Ziel. Stattdessen trifft er eine Dominatrix (Monique Ganderton), die sich gerade vor dem Mann aufgebaut hat. Die Chance ist vertan, der Killer flieht und macht sich auf den Weg in sein nobles Domizil in der Dominikanischen Republik. Dort wartet eine böse Überraschung auf ihn. Seine Freundin Magdala (Sophie Charlotte) wurde brutal überfallen und schwer verletzt. Der sonst so emotionslose Auftragskiller ist außer sich vor Wut und beginnt einen Rachefeldzug, um die Täter zur Strecke zu bringen. Seine erste Station ist der Anwalt Hodges in New Orleans. Mit einer Nagelpistole versucht er, Informationen über den Auftraggeber seines fehlgeschlagenen Jobs aus ihm herauszupressen.

Michael Fassbender in „The Killer“ (© Netflix/24 Bilder)

David Fincher verfilmt Graphic Novel „The Killer”

Mit „The Killer“ verfilmt David Fincher die gleichnamige Comicserie von Autor Alexis „Matz“ Nolent und Zeichner Luc Jacamon. Als Beleg dafür ist das gezeichnete Filmplakat eine Hommage an die Vorlage. Der Regisseur nimmt sich die Essenz der Graphic-Novel-Reihe und geht zusammen mit Drehbuchautor Andrew Kevin Walker („Sieben“) mit der groben Klinge durch die Geschichte und entkernt sie komplett zu einer Mischung aus Sinnkrise und Rachekomplott. In sechs Kapiteln (Paris, Dominikanische Republik, New Orleans, Florida, Beacon/New York, Chicago) und einem Epilog gibt Fincher seinem Thriller-Drama eine bewusst starre Struktur, deren einzelne Bausteine sich wie Episoden anfühlen. Gleich bleibt nur die Hauptfigur – und doch holen der Regisseur und sein Kameramann Erik Messerschmidt („Mank“) aus jedem einzelnen Schauplatz so viel Eleganz, weil sie unbedingten Stilwillen zeigen. Allein die rund 15-minütige Eröffnungssequenz ist schlichtweg brillant, denn sie führt detailliert in die Welt des Killers ein, in seine Methodik und die Bedeutung von Musik in seinem Leben (fast ausschließlich laufen Songs der der britischen Kultband The Smiths). Obwohl „The Killer“ ab 16 Jahren freigegeben ist, enthält der Film (neben den präzisen Tötungen) nur eine einzige echte Actionszene, die allerdings als brutale Schlägerei in Florida heftig ausfällt.

Michael Fassbender als Dreh- und Angelpunkt des Films

Der mürrisch-stoische Michael Fassbender („12 Years A Slave“) ist die Konstante. Der irisch-deutsche Star ersetzte den ursprünglich vorgesehenen Brad Pitt („Bullet Train“), als Netflix die Produktion von Paramount übernahm. Seine Darstellung fesselt, obwohl sein Charakter extrem distanziert und emotionslos ist. Der Film verwebt geschickt die Gedanken des Killers mit seinen Taten und gibt Einblicke in die dunkle Seite der menschlichen Natur. Dabei streift er Themen wie die Konsumgesellschaft und die Entfremdung des Individuums. Leider verliert „The Killer“ nach dem beeindruckenden Auftakt etwas an Fahrt. Er weicht von Finchers üblichem Ansatz ab und wird zu einem Rache-Thriller, wie er seit einigen Jahren in Hollywood en vogue ist. Die Motivation der Hauptfigur bleibt vage und die Rachehandlung wirkt recht konventionell.

Tilda Swinton in „The Killer“ (© Netflix/24 Bilder)

Hommage an „Der eiskalte Engel“

In einem sardonistischen Voice Over sinniert der Protagonist zynisch über das Leben und die Rituale eines Profikillers und bringt damit den inneren Monolog seiner Figur nach außen. Er ist ein eiskalter Engel (Ähnlichkeiten mit dem gleichnamigen Klassiker von Jean-Pierre Melville sind beabsichtigt), den sein erster Fehlschuss emotional ins Stottern bringt. Sein großspurig vorgetragenes Arbeitsethos („Bleib bei deinem Plan und improvisiere nie“) wirkt in diesem Kontext absurd und arrogant, was Fincher für grobe Ironie nutzt. Dieses Stilmittel zieht sich durch den gesamten zweistündigen Film, da wird Indie-Ikone Tilda Swinton („Memoria“), die in einer Episode einen köstlichen Auftritt als konkurrierende Auftragskillerin hat, von einem Zeugen schon mal als langer weißer Q-Tip beschrieben, woraufhin sie ihr Häscher sofort erkennt. Der Killer selbst kleidet sich nach eigener Aussage wie ein deutscher Tourist – unauffällig, mit Schlapphut, irgendwie kommunikativ abschreckend. Mit so jemandem will niemand reden. Nicht auffallen!

Fazit: David Finchers „The Killer” ist ein kühl auf das Wesentliche reduzierter, weder komplizierter noch überladener Psycho-Thriller – vielleicht der einfachste und unkomplizierteste Film, den der Meisterregisseur je gedreht hat. Es ist sicher nicht Finchers originellstes Werk, aber sein mit Film-Noir-Anleihen aufgemotztes Rache-B-Movie ist visuell und inszenatorisch so elegant, dass es auf jeden Fall sehenswert ist.

Deutscher Kinostart von „The Killer“: 26.Oktober 2023.
Streaming: Ab dem 10. November im Abo bei Netflix abrufbar.

Wertung4 / 5
Produktionsland

USA 2023

Cast & Crew

Tilda Swinton

die Expertin

Arliss Howard

Claybourne

Monique Ganderton

die Dominatrix

Sala Baker

der Brutale

Emiliano Pernía

Marcus, Magdalas Bruder

Gabriel Polanco

Leo, der Taxifahrer

Endre Hules

das Zielobjekt

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