The Banshees Of Inisherin

2023114 minab 16,

„The Banshees Of Inisherin“ ist ein originelles wie melancholisches Filmjuwel

Bühnen- und Filmregisseur Martin McDonagh hat sich über die Jahre darin ausgezeichnet, dass er in seinen Werken im Gewöhnlichen das Besondere findet – der Ire entlockt seinen Stoffen immer eine neue Perspektive oder einen originellen Kniff und ist so unberechenbar. So führte er in „Brügge sehen … und sterben?“ (2008) das Niveau von Gangsterdialogen auf ein ganz neues Level und in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ (2017) spielte er virtuos mit den Erwartungen des Publikums, indem er die Charakterisierung seiner Protogonisten immer wieder veränderte und nahezu jede Figur sich standhaft weigerte, die Klischees zu erfüllen, die im modernen Mainstream für sie vorgesehen waren. McDonagh widersetzt sich der Hollywood-Formel! Das gilt umso mehr für seine melancholische Tragikomödie „The Banshees Of Inisherin“ – eine wunderschön gefilmte und sensationell gespielte Fabel über eine zerbrochene Freundschaft vor dem Hintergrund des irischen Bürgerkriegs. McDonagh nimmt eine simple Idee und konstruiert daraus einen historischen High-Concept-Film, der das Publikum emotional aufs Äußerste fordert, weil „The Banshees Of Inisherin“ zwischen staubtrockener Komik und herzzerreißender emotionaler Grausamkeit pendelt.

1923: In Irland tobt seit fast einem Jahr der Bürgerkrieg, doch auf der abgelegenen, kleinen Insel Inisherin bekommt man davon nur gelegentliche Kanonenschüsse der Artellerie aus der Ferne mit. Der Alltag des Viehbauern Pádraic Súilleabháin (Colin Farrell), der mit seiner Schwester Siobhán (Kerry Condon) in einem kleinen Haus lebt, ist trist und karg. Das Zentrum der verstreuten Siedlung ist der örtliche Pub. Jeden Tag trottet Pádraic stoisch in die Gastwirtschaft, um gemütlich ein paar Pints zu kippen und Belangloses mit seinem bestem Freund Colm Doherty (Brendan Gleeson) zu erzählen. Doch an diesem ersten Apriltag des Jahres reagiert Colm nicht, als ihn Pádraic in seinem Haus abholen will. Wenig später stellt sich heraus, dass der Fiddle-Spieler und Komponist nichts mehr mit Pádraic zu tun haben will. „Ich mag dich einfach nicht mehr“, sagt er. Er will seine Zeit lieber mit Komponieren und geistreichen Gesprächen verbringen. Dafür sei Pádraic zu langweilig. Doch der versteht die Welt nicht mehr und gibt sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden. Deswegen greift Colm zu einer drastischen Maßnahme: Er kündigt an, dass er sich jedes Mal, wenn Pádraic ihn anspreche, einen Finger abschneiden werde.

Brendan Gleeson (vorn) und Colin Farrell in „The Banshees Of Inisherin“ (© Disney)

Allegorie auf den irischen Bürgerkrieg

Zwischen Juni 1922 und Mai 1923 tobte der irische Bürgerkrieg. „The Banshees Of Inisherin“ ist eine Allegorie auf dieses brutale Gemetzel unter Iren. Ein Bruderkrieg. Martin McDonagh spiegelt die ganze Starrköpfigkeit und Sinnlosigkeit dieses Konflikts in seiner kleinen Geschichte über eine zerbrochene Freundschaft. Was den Film so besonders macht, sind gleich mehrere Dinge. Visuell sticht „The Banshees Of Inisherin“ wie eine knorrige Version eines Rosamunde-Pilcher-Films aus der Masse heraus – mit grotesk-schönen Landschaftsaufnahmen von Kameramann Ben Davis („Guardian Of The Galaxy“, „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“). Das verleiht dem Werk einen eigenen, sehr rauen und ursprünglichen Charakter. Dabei ist das Filmeiland nicht real. „Inisherin ist eine fiktive Insel, ich wollte nicht, dass es einen bestimmten Ort gibt. Ich wollte, dass sie eher mythisch ist“, sagte McDonagh gegenüber „Town & Country“. Gefilmt wurde vor der irischen Westküste auf Achill Island und Inishmore.

Dünne Prämisse, starke Story

Die Prämisse der Story ist auf dem Papier ziemlich dünn. Da ist der intellektuelle Musiker und der naive, aber gutherzige und nette Bauer. Aber mit dem Dreh, dass sich Colm einen Finger nach dem anderen abzuschneiden droht, falls Pádraic ihn weiterhin mit seiner Konversation behellige, verschärft McDonagh die Geschichte radikal. Und weil die Dialoge und das Schauspiel des gesamten Ensembles schier brillant sind, darf bei „The Banshees Of Inisherin“ nicht nur über den trockenen Humor geschmunzelt werden. Der Film geht emotional schwer an die Nieren. Mag der Musiker Colm, der der Nachwelt Kompositionen hinterlassen will, auch ein Argument haben, indem er die Präsenz seines ehemals besten Freundes ablehnt, so ist es doch kaum mit anzusehen, wie sehr diese emotionale Grausamkeit den vielleicht naiven, aber guten Menschen Pádraic verletzt und in den Wahnsinn treibt, was zum einzigen kleinen Kritikpunkt führt: Colms konsequenter Starrsinn geht über das menschlich Nachvollziehbare hinaus und wirkt etwas überhöht konstruiert. Denn hier wird die Fabel zur griechischen Tragödie.

Colin Farrell und Brendan Gleeson brillieren wieder gemeinsam

Colin Farrell („The Batman“) und Brendan Gleeson („Am Sonntag bist du tot“) harmonieren fast 14 Jahre nach „Brügge sehen … und sterben?“ wieder kongenial als seltsames Paar der besonderen Art. Farrell hat mit seinem entwaffnend natürlichen Spiel alle Sympathien auf seiner Seite. Beispielhaft ist eine zutiefst berührende Szene, in der er Colm einen Vortrag über Nettigkeit hält und dabei eine Ode über seine geliebte Schwester hält, die unbemerkt im Hintergrund mithört. „The Banshees Of Inisherin“ ist voll von solchen Glanzmomenten. Hier ist kein Wort des sparsamen Dialogs zu viel, nichts ist überflüssig. Auch weil die Nebendarsteller nicht zurückstehen. Kerry Condon („Avengers: Infinity War“) ist als Pádraics clevere Schwester so etwas wie der moralische Kompass der Geschichte. Die, die in diesem kindischen Konflikt immer den richtigen Instinkt hat, was Condon mit ihrem fein nuanciertem Spiel unterstreicht.

Colin Farrell in „The Banshees Of Inisherin“ (© Disney)

Bitterböse Schocks treffen Publikum immer härter

Die titelgebenden „Banshees“ sind übrigens Geisterfrauen oder auch Todesfeen, die den Menschen in der keltischen Mythologie vor dem Tod erscheinen. Die Inselälteste, die McDonagh wie eine Totenfee inszeniert, sagt den Tod von bis zu zwei Personen bis zum Ende des Monats voraus. Und diese düstere Vorhersage schwebt über der clever konstruierten, vielschichtigen Geschichte, deren Ausgang völlig offen ist. Nicht in einer Minute von „The Banshees Of Inisherin“ weiß man, wie es weitergeht. Immer wieder setzt der Regisseur und Autor kleine, bitterböse Schocks, die man nicht kommen sieht und die immer härter treffen – bis hin zum erschütternden Finale.

Fazit: Mit „The Banshees Of Inisherin“ schafft Regisseur Martin McDonagh ein weiteres originelles wie melancholisches Filmjuwel, dessen schauspielerische Extraklasse in jeder einzelnen Szene dieser 114 Minuten so offensichtlich ist, dass einem als Cineasten das Herz aufgeht – eine als Fabel angelegte kühne Untersuchung von Menschlichkeit und emotionaler Grausamkeit. „The Banshees Of Inisherin“ lässt sein Publikum staunend zurücklässt und wirkt enorm nach – auch noch Tage nach dem Schauen.

Deutscher Kinostart von „The Banshees Of Inisherin“: 5. Januar 2023.

Wertung 4,5 / 5
Produktionsland

Irland/Großbritannien/USA 2022

Cast & Crew

Colin Farrell

Pádraic Súilleabháin

Brendan Gleeson

Colm Doherty

Kerry Condon

Siobhán Súilleabháin

Pat Shortt

Jonjo Devine

Gary Lydon

Peadar Kearney

Barry Keoghan

Dominic Kearney

Sheila Flitton

Mrs. McCormick

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