She Said
Wie zwei Journalistinnen Hollywood-Mogul Harvey Weinstein zu Fall bringen
Verschwörungstheorien sind auf den ersten Blick superspannend, weil sich immer ein gigantisches Mysterium hinter etwas zu verbergen scheint – aber am Ende sind 99 Prozent aller Theorien Nonsens. Einen Fall wie Edward Snowden und die aufgedeckte globale NSA-Überwachung gibt es nicht alle Tage. Die beiden „New York Times“-Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey kamen einem solchen Coup 2017 aber ganz nahe – denn im Grunde war es eine Verschwörung, die sie mit ihren Artikeln über den Hollywood-Mogul Harvey Weinstein enthüllten. Jahrzehntelang hatte der mächtige Filmproduzent Frauen bedrängt, begrapscht, zu sexuellen Handlungen gezwungen und im schlimmsten Fall sogar vergewaltigt – vom System durch Vertuschung und Bedrohung gedeckt. Denn Weinsteins abstoßendes Gebaren war in der Branche ein offenes Geheimnis, aber niemand hat etwas unternommen, um den brutalen Patriarchen zu stoppen – bis es Kantor und Twohey taten und durch ihre bahnbrechenden Enthüllungen unfreiwillig die #MeToo-Bewegung auslösten. „Unorthodox“-Regisseurin Maria Schrader verfilmte den Stoff in dem Medien-Drama „She Said“ als mitreißenden Journalisten-Thriller in Stil von „Die Unbestechlichen“, „Spotlight“ oder „Die Verlegerin“. Schrader erfindet das Genre keineswegs neu, aber das muss sie auch gar nicht, weil „She Said“ erstaunlich unpräzentiös daherkommt und atmosphärisch jede einzelne Nuance richtig trifft.
2017 bekommt die Investigativjournalistin Jodi Kantor (Zoe Kazan) einen Tipp, dass der Hollywood-Produzent Harvey Weinstein (Mike Houston) sich an Schauspielerinnen im Umfeld seiner Produktionsfirma Miramax vergangen haben soll. So räumt die Schauspielerin Rose McGowan der „New York Times“-Schreiberin zwar ein, dass Weinstein sie im Alter von 23 Jahren vergewaltigt habe, doch öffentlich sprechen will sie nicht. Auch die Stars Ashley Judd (als sie selbst) und Gwyneth Paltrow (als sie selbst) erheben schwere Anschuldigungen, wollen aber nicht in die Öffentlichkeit – aus Angst um ihre Karrieren. Aber auch Frauen, die bei Miramax angestellt waren, wurden offenbar von Weinstein angegriffen. Als Kantor auf eine Mauer des Schweigens trifft, weil die Opfer mit Vergleichszahlungen mundtot gemacht wurden, holt sie ihre Kollegin Megan Twohey (Carey Mulligan) zur Hilfe aus der Elternzeit zurück. Die beiden Journalistinnen graben mit der Unterstützung von Chefredakteur Dean Baquet (Andre Braugher) und der erfahrenen Investigativjournalistin Rebecca Corbett (Patricia Clarkson) immer tiefer und tiefer.
„She Said“ erzählt die Vorgeschichte zur #Me-Too-Bewegung
„She Said“ basiert auf Jodi Kantors und Megan Twoheys Sachbuch „She Said: Wie das Schweigen gebrochen wurde und die #MeToo- Bewegung begann” aus dem Jahr 2019. Die Basis dafür bildet eine ganze Reihe von mit dem Pulitzer Preis prämierten Artikeln, die das Journalistinnen-Duo ab 2017 über als Anklage gegen Filmmogul Harvey Weinstein („Pulp Fiction“, „Shakespeare In Love“) veröffentlicht hat. Doch die Verfilmung beschäftigt sich mit der Phase davor. Das erklärt Schrader folgendermaßen: „Ich finde es fantastisch, dass wir unseren Film in dem Moment enden lassen, in dem der Artikel veröffentlicht wird. Der Rest ist Geschichte. Alles, was danach passiert, haben wir erlebt und miterlebt. Hier geht es aber darum, wer diese beiden Journalistinnen sind.“ Die Regisseurin fokussiert sich eben nicht auf die #MeToo-Debatte, die Kantor und Twohey mit ihrer Enthüllung losgetreten haben. 82 Frauen, die von Weinstein missbraucht worden sind, meldeten sich am Ende, ein weltweiter Aufschrei ging durch die Gesellschaft und das Thema wurde monatelang rund um den Erdball diskutiert. Und Harvey Weinstein ist quasi der Patient Zero, das Monster, das die Welle losgetreten hat. Tausende Frauen weltweit nahmen den Fall zum Anlass, ihre Stimme zu erheben.

Anatomie eines Skandal
Aber „She Said“ erzählt die Geschichte über den mühsamen, beschwerlichen Weg dahin – quasi das Prequel. Bis in kleinste Details verfolgt Regisseurin Schrader die Anatomie des Skandals, seziert jeden Schritt der beiden Journalistinnen, wie sie immer verzweifelter versuchen, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen und trotzdem ihre journalistische Integrität zu bewahren. Auch wenn „She Said“ nicht um ein paar klassische Journalistenfilm-Klischees wie das Schreiben zu jeder Tag- und Nachtzeit oder das Meine-Quellen-sind-mir-heilig-Ritual herumkommt, ist es doch der realistische Background der Figuren und die realistische Schilderung ihrer Arbeitsweise, die den Film erden. Kantor und Twohey sind keine linken Feministinnen, sondern gewissenhafte, engagierte Enthüllungsjournalistinnen, die als Mütter von kleinen Kindern Privat- und Berufsleben irgendwie zusammenbringen müssen, während sie gerade einen der größten Scoops des 21. Jahrhunderts schreiben.
Kazan und Mulligan als überragendes Duo
Die Hauptdarstellerinnen Zoe Kazan („Ruby Sparks“, „The Big Sick”) und Carey Mulligan („Drive“, „Shame”) sind oscarwürdig-überragend in ihren Rollen, beide ergänzen sich perfekt. Kazan spielt ihre Jodi Kantor emotionaler und impulsiver, während Mulligan als Twohey abgeklärter, rabiater und doch verletzlicher wirkt. Die Journalistin leidet nach der Geburt ihres Kindes unter einer postnatalen Depression und versucht sich mit der Arbeit davon zu befreien. „Brooklyn 99“-Star Andre Braugher zeigt sich hier von seiner ernsten Seite und verbreitet als monolitischer „New York Times“-Chefredakteur trotz einer gewissen Strenge ein hohes Maß an Sympathie. Letzteres gilt auch für Patricia Clarkson („The Station Agent“) als Investigativ-Ikone Rebecca Corbett. Denn Drehbuchautorin Rebecca Lenkiewicz („Ida“) verzichtet in „She Said“ auf dramaturgische Mätzchen wie zum Beispiel interne Machtkämpfe und Widerstände, die Kantor und Twohey im Weg stehen. Im Gegenteil: Die beiden werden von ihren Kolleginnen und Kollegen vorbildlich unterstützt, ermutigt und eben nicht gebremst. Das ist äußerst erfrischend, weil die Story an sich schon stark genug ist, dass man sie nicht künstlich dramatisieren muss.

Ashley Judd, Rose McGowan und Gwyneth Paltrow wagen sich hervor
Das Beben, das die Enthüllung ausgelöst hat, spülte eine ganze Reihe von großen Namen an die Oberfläche. Einige davon sind Teil von „She Said“ – ohne Schutz, mit offenem Visier. Am weitesten wagt sich Ashey Judd („Heat“) vor, die sogar einen kleinen Auftritt als sie selbst hat und eine Schlüsselrolle beim Sturz Weinsteins spielt. Auch Gwyneth Paltrow („Sieben”) und Judith Godrèche („Der Mann in der eisernen Maske”) dienen als Informantinnen sowohl in der Wirklichkeit als auch im Film, sind aber nur „off camera“ mit ihren eigenen Stimmen zu hören, während Rose McGowan, die mit der stärksten Anschuldigung der Vergewaltigung Weinstein angeklagt hat, zwar per Telefon eine Rolle einnimmt, ihre Stimme aber von Keilly McQuail doubeln lässt. Dennoch steht sie mit ihrem Namen für eine der Anklagen, die Weinstein letztendlich zu Fall brachten. Nicht zuletzt die von Jennifer Ehle („Zero Dark Thirty“) und Samantha Morton („Minority Report“) gespielten Opfer Laura Madden und Zelda Perkins verleihen „She Said“ einen enormen emotionalen Punch, ohne theatralisch zu wirken, während man gleichzeitig voll mit den beiden Protagonistinnen mitfiebert, wie sie mit Beharrlichkeit und Widerstandsfähigkeit ein toxisches Machtsystem aufbrechen.
Fazit: Maria Schraders „She Said“ ist ein atmosphärisch und handwerklich herausragender Medien-Thriller, der in einer beeindruckenden Detailversessenheit jeden kleinen Schritt durchexerziert, der zum Fall des Hollywood-Moguls Harvey Weinstein führte – brillant und empathisch gespielt von Zoe Kazan und Carrey Mulligan.
Deutscher Kinostart von „She Said“: 8. Dezember 2022.
Seit 23. Februar 2023 auf Blu-ray & DVD erhältlich.
Wertung | 4,5 / 5 |
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Produktionsland | USA 2022 |
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