Rheingold

2022140 minab 16, ,

Ein rauschhaftes Leinwand-Porträt voll handwerklicher Brillanz und moralischer Ambivalenz

Der Kreis schließt sich. In Uli Edels berüchtigtem Bushido-Biopic „Zeiten ändern dich“ (2010) ging so ziemlich alles schief, was schiefgehen kann, weil Rapper Bushido nicht nur unbedingt die Hauptrolle spielen, sondern auch sein Image romantisieren wollte. Das Ergebnis ist trotz Erfolgsproduzent Bernd Eichinger und einer Starbesetzung ein grotesk verkorkster Film. Den jungen Anis Mohamed Youssef Ferchichi (alias Bushido) spielte der damals 14-jährige Emilio Sakraya, der damit sein Kinodebüt feierte. Nach diversen Kinderfilmen („Bibi & Tina“, „Winnetou“) wartete der Jungstar trotz Auftritten in Filmen wie „Kalte Füße“ oder „Die Rettung der uns bekannten Welt“ bisher auf den großen Durchbruch bei den Erwachsenen. Und ausgerechnet in einem weiteren Gangster-Rapper-Biopic gelingt Sakraya jetzt der lange erhoffte und von der Branche prognostizierte Sprung zum Star. Konsequent gegen sein Beau-Image anspielend trägt der gebürtige Berliner mit marokkanischen und serbischen Wurzeln Faith Akins berauschendes Gangster-Drama „Rheingold“ über epische 140 Minuten. Die Lebensgeschichte von Rapper und Gangster Xatar schrie förmlich danach, verfilmt zu werden. Akin hat die Rufe als Erster erhört und obwohl auch er mitunter seine Probleme hat, sich dagegen zu wehren, nicht von einer Glorifizierung und Überhöhung seiner Hauptfigur mitgerissen zu werden, ist „Rheingold“ ein handwerklich starker Film, der auch emotional hervorragend funktioniert, weil Sakraya diesem ambivalenten Helden eine Seele gibt.

Die Mutter Rasal (Mona Pirzad) eine kurdische Widerstandskämpferin, der Vater Eghbal (Kardo Razzazi) ein berühmter Komponist und Dirigent, der Iran-Irak-Krieg in vollem Gange: Seine Kindheit verbringt Giwar Hajabi (Ilyes Raoul, als Jugendlicher: Ilyes Moutaoukkil, als Erwachsener: Emilio Sakraya) im Iran zwischen Privilegien der kulturellen Elite und dem Gefängnis, wo seine Eltern gefoltert werden. Mit Hilfe des Roten Kreuzes können die Hajabis Mitte der 80er Jahre mit dem Umweg über Paris schließlich nach Bonn fliehen, wo Eghbal eine Anstellung als Dirigent findet. Doch nachdem der Vater die Familie für eine andere Frau verlässt, geht es mit Giwar in der Umgebung ihrer Sozialbausiedlung bergab. Er rutscht ins kriminelle Milieu ab, verkauft erste Drogen und wird in Schlägereien verwickelt. Giwar steigt ins Kampfsporttraining ein und wird als Gangster immer größer. Nach seinem Umzug nach Amsterdam, wo er nebenbei Musikmanagement studiert, arbeitet er mit der lokalen Mafia zusammen, vertickt noch mehr Drogen und organsiert die Türsteher-Garde für die prominenten Clubs. Doch dann bringt der fatale Verlust einer wichtigen Lieferung für einen Amsterdamer Mafiaboss Giwar schwer in die Bredouille.

Fatih Akin verfilmt Xatars Autobiografie

„Rheingold“ basiert auf Xatars 2015 erschienener Autobiografie „Alles oder Nix – bei uns sagt man, die Welt gehört dir“. Fatih Akin („Gegen die Wand“), einer der profiliertesten deutschen Regisseure, denkt bei seinem Biopic groß und spannt die Handlung über einen Zeitraum von fast 40 Jahren. Diese Herausforderung meistert der Arthouse-Star mit Bravour. Drehs in mehreren Teilen von Deutschland, den Niederlanden, Marokko (für den Iran) und Mexiko verschaffen „Rheingold“ – zusammen mit den aufregenden Bildern von Akins Stamm-Kameramann Rainer Klausmann („Der Baader Meinhof Komplex“) – einen internationalen Look. Akin inszeniert hier gegen deutsche Piefigkeit bewusst großes Kino und schreckt dabei nicht vor Pathos und markigen Gesten zurück.

Das stellt den Regisseur aber vor ein universelles Problem von Gangsterfilmen, was auch der Hamburger nicht komplett lösen kann: Wie verhindert man, dass sich der Film nicht zu sehr an der kriminellen Hauptfigur berauscht? Diesen moralischen Vorwurf kann Akin nicht vollends entkräften, denn „Rheingold“ stellt Giwar Hajabi alias Xatar unzweifelhaft als großen Sympathieträger des Films aus – obwohl er mit der Doktrin des Rechts des Stärkeren seine kriminelle Karriere begründet. Beispielhaft hierfür ist eine zentrale Sequenz aus Xatars Amsterdam-Zeit. Mit einem waghalsigen Einsatz, der sein eigenes Lebens aufs Spiel setzt, „bricht er die Tür“ eines wichtigen Clubs der niederländischen Metropole. Anschließend organisiert er die Security am Einlass, weil er sich als der härteste Typ der Stadt etabliert hat. Das Recht des Stärkeren! Akin lässt seine Zuschauern mitfiebern wie Brian De Palma mit Tony Montana in „Scarface“.

Emilio Sakraya in „Rheingold“ (© Warner Bros.

Emilio Sakraya liefert die beste Leistung seiner Karriere

Lässt man die Moral beiseite, ist „Rheingold“ ein mitreißendes Werk – auch weil Emilio Sakraya in seiner Darstellung des ambivalenten Gangster-Rappers „all-in“ geht. Er baute extra für den Film 15 Kilo Muskelmasse auf, um dem echten Xatar zumindest physisch ähnlich zu sehen und als Figur glaubhaft zu wirken. Auch wenn er optisch noch eine enorme Aufwertung für den realen Xatar ist, wirkt sein Porträt durchgehend stimmig. Sakraya markiert nicht nur überzeugend den harten Mann, sondern zeigt immer auch die Verwundbarkeit des Charakters, dessen Gegensätze faszinierend sind. Seinen Aufstieg zum großen Gangster startet dieser Giwar Hajabi nicht aus der Gosse, sondern aus gebildetem Elternhaus und dem Milieu der Musikerelite. Erst die Umgebung des Sozialbaus, in der die Hajabis in Deutschland landen, führt Giwar – wider besseren Wissen – auf die schiefe Bahn.

Gewalt, Härte, Machismos – und Humor

Bei allem Machismos und brutalen Spitzen garniert Akin seinen Film auch mit Einschüben von Humor, was in der Gerichtshandlung nach dem berühmt-berüchtigter Zahngold-Überfall kulmuniert, bei dem Xatar und seine Spießgesellen 1,7 Millionen Euro erbeutet haben (das Geld ist bis heute „verschwunden“). Dieser spektakuläre Coup nimmt nicht nur einiges an Spielzeit ein, sondern ist immer wieder durchzogen von trockenem Humor – beim Überfall selbst und erst recht in der Verhandlung, wo heftig geschwäbelt wird. Hier ist „Rheingold“ auf seinem Siedepunkt angelangt.

Und erst an dieser Stelle setzt Akin überhaupt ernsthaft an, über Xatars musikalische Ambitionen zu erzählen. Denn, diesen Vorwurf muss er sich gefallen lassen, die reale Karriere, die er schon 2007 in die Spur brachte und die 2015 mit dem Nummer-1-Album „Baba aller Babas“ ihren vorläufigen Höhepunkt fand, spielt bei „Rheingold“ kaum eine Rolle. Vielmehr kommt der Antrieb, sich in der Musik auszudrücken gegen Ende des Films sehr plötzlich wie Kai aus der Kiste. Akin zeigt auf der einen Seite ausführlich Xatars Sozialisierung mit klassischer Musik – was nicht zuletzt durch den mythischen Überbau mit Richards Wagner Opern-Thema „Das Rheingold“ befeuert wird. Aber seine Begeisterung an Rap und HipHop ist auf der Leinwand mehr als ein „Interesse“ denn als eine „Passion“ spürbar.

Fazit: Arthouse-Filmemacher Fatih Akin hat das große filmische Potenzial der Lebensgeschichte des Rappers Xatar messerscharf erkannt und verschafft dem berüchtigten Verbrecher und erfolgreichen Musiker mit dem Gangster-Drama-Biopic „Rheingold“ ein rauschhaftes Leinwand-Porträt voll handwerklicher Brillanz und moralischer Ambivalenz.

Deutscher Kinostart von „Rheingold“: 27. Oktober 2022.

Seit 30. März 2023 auf Blu-ray & DVD erhältlich.

Wertung3,5 / 5
Produktionsland

Deutschland/Niederlande/Marokko/Mexiko 2022

Cast & Crew

Emilio Sakraya

Giwar Hajabi / Xatar

Mona Pirzad

Rasal Hajabi

Kardo Razzazi

Eghbal Hajabi

Ilyes Raoul

Giwar Hajabi (als Kind)

Ilyes Moutaoukkil

Giwar Hajabi (als Jugendlicher)

Drehbuch

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