Oppenheimer

2023180 minab 12, , ,

Nolan schmiedet aus einem dialoglastigen Stoff einen krachenden Blockbuster

Regisseur Christopher Nolan versteht es wie kein anderer Filmemacher in Hollywood, Kunst und Kommerz in eine perfekte Symbiose zu bringen. Zumindest im Vorfeld seiner mit Stars gespickten 100-Millionen-Dollar-Produktion „Oppenheimer“ konnte man sich fragen, wie sein Trick, das Unvereinbare zusammenzubringen, diesmal funktionieren würde. Doch schon nach dem ersten Trailer war klar: Nolan lässt nichts anbrennen. Der Brite bläst eine in der Theorie trockene Wissenschaftler-Biografie einfach zu einem gigantischen, dreistündigen Eventfilm auf, der nicht nur den Werdegang des Quantenphysikers und Erfinders der Atombombe, J. Robert Oppenheimer, nachzeichnet, sondern aus dem biografischen Historien-Drama ein ambitioniertes, kühnes Zeitdokument schmiedet, das mit einer brillanten, Nolan-typisch großkalibrigen Inszenierung, makellosen Schauspielleistungen und einer spannenden Widerborstigkeit glänzt. Der Regisseur, der auf eine komplexe Erzählstruktur setzt, die geschmeidig zwischen den Zeitebenen hin- und herspringt, beginnt seinen Film als klassische Biographie, seziert im atmosphärisch atemberaubend dichten Mittelteil die Hintergründe des Baus der Atombombe und endet mit der Hetzjagd auf den vermeintlichen Kommunisten Oppenheimer. Dabei inszeniert er seinen Antihelden kühn als „Dark Knight“ der Wissenschaft. Das ist monumentales Kino, das man am besten auf der großen IMAX-Leinwand sieht – Nolans nächstes Meisterwerk.

1926: Der 22-jährige amerikanische Wissenschaftler J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) ist ein brillanter Kopf, der am Cavendish Laboratory in Cambridge bei dem renommierten Physiker Patrick Blackett (James D‘Arcy) studiert und dort auch den einflussreichen dänischen Atomphysiker Niels Bohr (Kenneth Branagh) kennenlernt. Von einem unstillbaren Wissensdurst getrieben, wechselt Oppenheimer an die Universität Göttingen, bevor er in die USA zurückkehrt, um dort die Quantenphysik zu etablieren. An der Universität von Berkeley beginnt er, dieses Fach zu unterrichten. Der promovierte Physiker kreuzt immer wieder die Wege von Berühmtheiten wie dem Nobelpreisträger Ernest Lawrence (Josh Hartnett), der ihn protegiert, oder später der Legende Albert Einstein (Tom Conti). Durch seine Freundin Jean Tatlock (Florence Pugh), die Mitglied der Kommunistischen Partei der USA ist, verkehrt Oppenheimer in diesen intellektuellen Kreisen, was sich später als problematisch erweist. Nach der Trennung heiratet Oppenheimer die Biologin und Kommunistin Katherine „Kitty“ Puening (Emily Blunt). 1942 rekrutiert der US-Armeegeneral Leslie Groves (Matt Damon) Oppenheimer als wissenschaftlichen Leiter für das streng geheime Manhattan-Projekt. Zusammen mit den klügsten Köpfen des Landes soll er die Atombombe entwickeln. Heimlich baut die US-Armee in Los Alamos in der Wüste von New Mexico eine geheime Wissenschaftsstadt.

Tom Conti und Cillian Murphy in „Oppenheimer“ (© Universal Studios)

Manhattan-Projekt als Herzstück des Films

Auf den ersten Blick ist „Oppenheimer“ für den Mainstream kaum geeignet. Denn die gesamten 180 Minuten Laufzeit bestehen aus dialoglastigem Drama. Die ständigen Diskussionen sind sehr dicht und mit wissenschaftlichen Begriffen gespickt. Christopher Nolan („The Dark Knight“-Trilogie, „Inception“) lotet dabei mehrere Ebenen und Perspektiven des Atomwaffenbaus aus und nimmt sich viel Zeit. Der erste Akt mit der ausführlichen Einführung Oppenheimers mag relativ viel Raum in Anspruch nehmen, ist aber notwendig, um die Figur voll zu verstehen. Dieser Teil legt den Grundstein dafür, dass der Film als Gesamtwerk funktioniert. Denn das Herzstück von „Oppenheimer“ ist der atemberaubende Mittelteil um das legendäre Manhattan-Projekt, in dem sich Nolan auf die Entstehung der Bombe und die politischen Hintergründe ihrer Entwicklung konzentriert und die ganze Wucht seiner großspurigen Blockbuster-Inszenierung ausspielt. „Oppenheimer“ liefert einige schon jetzt ikonische, auf 70 Millimeter gefilmte und im IMAX-Format besonders gut zur Geltung kommende Szenen, etwa wenn während des „Trinity“-Atombombentests am 16. Juli 1945 ein Sturm über das Los-Alamos-Gelände in der Wüste von New Mexico fegt. Das ist ganz großes Kino, das auch auf der Tonspur einen gigantischen Eindruck hinterlässt.

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Nolan spielt den Moment der Testexplosion genial aus

Denn die Effekte, die mit der Explosion der Atomwaffe verbunden sind, sind hervorragend. Sie wirken absolut authentisch, und glücklicherweise sind die Macher nicht in die Falle einer übertriebenen Episierung getappt, was leicht hätte passieren können. Im Gegenteil: Nolan zelebriert meisterhaft die Größe des Moments, wenn Publikum und Figuren auf die Testexplosion warten, und steigert die Spannung immer weiter, ohne in Sensationshascherei zu überdrehen. Die Unsicherheit und Nervosität aller Beteiligten überträgt sich förmlich bis in die letzte Sitzreihe des Kinos, und mit zunehmender Intensität der Situation hält man fast den Atem an. Wenn es dann zur Explosion kommt, stellt sich eine seltsame Faszination ein. Auch die Bilder der amerikanischen Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki spart Nolan konsequent aus und jagt einem stattdessen einen Schauer über den Rücken, wenn hochrangige Politiker und Militärs zuvor in einer beklemmenden Hinterzimmer-Szene darüber diskutieren, welche Städte man mit der Bombe dem Erdboden gleichmachen will.

Robert Downey und Matthew Modine in „Oppenheimer“ (© Universal Studios)

Gerichtsdrama im dritten Akt

Nach dem inszenatorischen Höhepunkt des Films wechselt „Oppenheimer“ abrupt zu einem ausschweifenden Gerichtsdrama und den Ereignissen knapp zehn Jahre nach Kriegsende. Nun übernimmt Robert Downey Jr. als Lewis Strauss, Leiter der Atomenergiekommission, die Rolle des Gegenspielers, der sich mit Oppenheimer einen erbitterten Kampf liefert. Denn das Genie wendet sich nach dem verheerenden Einsatz seiner Technik gegen die Atomtechnologie und gerät damit in Konflikt mit Strauss, der sich von Oppenheimer gekränkt fühlt. Die Wende ist krass, aber weil Nolan im ersten Akt – etwas mühsam, aber offensichtlich notwendig – den Grundstein gelegt hat, verpufft die finale Verhandlung um das Schicksal des einstigen Kommunismus-Sympathisanten J. Robert Oppenheimer keineswegs, sondern fördert einen spannenden politischen Diskurs zu Tage, in dem die intellektuelle Widerborstigkeit des Star-Physiker deutlich wird. Dies unterstreicht den Anspruch des Regisseurs, hier ein großes, facettenreiches Gesamtkunstwerk zu schaffen. Trotz der drei so unterschiedlichen Teile entsteht nie der Eindruck von Stückwerk, dank Nolans außergewöhnlichen inszenatorischen Fähigkeiten wirkt „Oppenheimer“ wie aus einem Guss. Das ist eine große Leistung.

Wechsel zwischen Farb- und Schwarz-Weiß-Film

Ein weiteres auffälliges Merkmal des Films ist der Wechsel zwischen zwei visuellen Stilen – Schwarz-Weiß und Farbe -, der die Orientierung in den Zeitebenen erleichtern soll. Man könnte erwarten, dass Schwarz-Weiß für Rückblenden verwendet wird, wie es normalerweise der Fall ist, aber das ist hier nicht der Fall – die meisten Schwarz-Weiß-Passagen spielen in der Zukunft. In einem Interview erklärte Nolan seine Absicht hinter dieser Aufteilung der beiden Handlungsebenen. Die Farbfilm-Passagen sollen Oppenheimers subjektive Sicht der Ereignisse zeigen, während die Schwarz-Weiß-Szenen objektiver aus der Position einer anderen Figur (meist Lewis Strauss) auf die Geschehnisse blicken. Dies ist sicherlich ein interessantes erzählerisches Mittel, das den Zuschauer manchmal verwirren kann, aber wenn man es einmal verstanden hat, ist es absolut genial.

Florence Pugh und Cillian Murphy in „Oppenheimer“ (© Universal Studios)

Exzellent-markanter Score von Ludwig Göransson

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Films ist auch der Score, der von Ludwig Göransson („Tenet“, „Black Panther“) komponiert wurde. Er liefert einen beeindruckenden Soundtrack, der die Stimmung auf der Leinwand perfekt widerspiegelt. Besonders deutlich wird dies in den Momenten, in denen Oppenheimer von innerer Unruhe geplagt wird und sich die mechanisch-donnernde Untermalung bis an die Grenze zur Raserei steigert. Und wenn es aus den Boxen knarzt wie von einem Geigerzähler, kommt eine beklemmende Stimmung auf.

Herausragendes Ensemble – bis in kleine Nebenrollen mit Stars besetzt

Die größte Attraktion des Films ist natürlich Hauptdarsteller Cillian Murphy („The Dark Knight“), der sich in der Titelrolle mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Oscarnominierung erspielt hat. Oppenheimer ist zweifellos Murphys glanzvollste Rolle, und er ist sich dessen bewusst. Murphy spielt diesen J. Robert Oppenheimer als charismatischen und genialistischen Antihelden voller Widersprüche. Die große Überraschung ist dagegen „Iron Man“ Robert Downey Jr. („The Avengers: Endgame“) als Lewis Strauss, dessen Charakter komplexer ist, als es auf den ersten Blick scheint. Ein auf der Leinwand gealterter Downey Jr. läuft als Ankläger Oppenheimers zur Höchstform auf und offenbart erst nach und nach seine Motive. Wie ein Chamäleon verwandelt er sich in seiner Rolle. Aber auch Matt Damon („Air – Der große Wurf“) muss erwähnt werden, der hier nicht in seiner typischen Rolle des Guten zu sehen ist, sondern als durchaus ambivalenter General für Gänsehautmomente sorgt, wenn er mit Oppenheimer trotz aller Gegensätze ein Verhältnis von tiefbefriedigender Loyalität findet.

Matt Damon und Cillian Murphy in „Oppenheimer“ (© Universal Studios)

Unter den weiblichen Figuren sticht vor allem Emily Blunt („A Quiet Place“) als Oppenheimers Ehefrau hervor, aber auch Florence Pugh („Don’t Worry Darling“), die mit einigen Nacktszenen vollen Körpereinsatz zeigt, ist als seine Geliebte großartig, selbst wenn die beiden nicht so viel Raum bekommen wie ihre männlichen Kollegen. Aber auch in den kleineren Nebenrollen kann sich Nolan Stars wie die Oscar-Preisträger Rami Malek („Bohemian Rhapsody“), Casey Affleck („Manchester By The Sea“) oder Gary Oldman („Die dunkelste Stunde“) und viele, viele mehr leisten, was viel über die Anziehungskraft des Regisseurs aussagt.

Fazit: Christopher Nolan ist mit seinem ambitionierten biographischen Historien-Drama „Oppenheimer“ ein weiterer Geniestreich gelungen. Der Meisterregisseur macht aus dem komplexen, dialoglastigen Stoff über den begnadeten Astrophysiker Robert J. Oppenheimer, der maßgeblich an der Entwicklung der Atomwaffe beteiligt war, einen kraftvollen, superb fotografierten Blockbuster, der mit zunehmender Spielzeit auf mehreren Ebenen fesselt. Aus einem exzellenten Ensemble ragen Cillian Murphy und Robert Downey Jr. heraus.   

Deutscher Kinostart von „Oppenheimer“: 20. Juli 2023.

Wertung 5 / 5
Produktionsland

USA 2023

Cast & Crew

Cillian Murphy

J. Robert Oppenheimer

Emily Blunt

Kitty Oppenheimer

Matt Damon

Leslie R. Groves

Robert Downey Jr.

Lewis Strauss

Florence Pugh

Jean Tatlock

Josh Hartnett

Ernest Lawrence

Casey Affleck

Boris Pash

Rami Malek

David Hill

Benny Safdie

Edward Teller

Dylan Arnold

Frank Oppenheimer

David Krumholtz

Isidor Isaac Rabi

Matthew Modine

Vannevar Bush

David Dastmalchian

William Borden

Tom Conti

Albert Einstein

Michael Angarano

Robert Serber

Jack Quaid

Richard Feynman

Josh Peck

Kenneth Bainbridge

Olivia Thirlby

Lilli Hornig

Dane DeHaan

Kenneth Nichols

Danny Deferrari

Enrico Fermi

Alden Ehrenreich

Senatshelfer

Jefferson Hall

Haakon Chevalier

Jason Clarke

Roger Robb

James D’Arcy

Patrick Blackett

Tony Goldwyn

Gordon Gray

Alex Wolff

Luis Walter Alvarez

Josh Zuckerman

Giovanni Rossi Lomanitz

Matthias Schweighöfer

Werner Heisenberg

Emma Dumont

Jackie Oppenheimer

Gary Oldman

Harry S. Truman

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