No Hard Feelings

2023103 minab 12,

Überzeugende Jennifer Lawrence wertet zahme Sex-Komödie auf

Die Zeit der schlüpfrigen Komödien ist lange vorbei – die „Porky’s“-Filme dominierten in den 80er Jahren, „American Pie“ Ende der 90er bis ins neue Jahrtausend. Heute traut sich kaum noch jemand, zu groß ist die Angst, in einer Empörungswelle der Political Correctness unterzugehen. Der Zeitgeist hat sich schlicht geändert. Doch mit Gene Stupnitskys Komödie „No Hard Feelings“ kehrt auf den ersten Blick das Derbe in die Kinos zurück, wenn man dem Eindruck des Trailers trauen darf. Doch nicht nur, dass diese Vorschau fast die gesamte erste Hälfte des Films spoilert, sie wird der Sex-Komödie auch nicht gerecht, denn hinter der Fassade der abgedroschenen Story um einen verklemmten reichen Jüngling, der von einem Rollschuh fahrenden Freigeist sexuell befreit werden soll, verbergen sich feinere Charakterzeichnungen als vermutet. Denn die wie immer großartige Jennifer Lawrence gibt ihrer verzweifelten Jobberin in Geldnot mehr inhaltliche Tiefe, als in der begrenzten Comedy-Rolle eigentlich drin ist – das gilt fast in gleichem Maße für ihren Co-Star Andrew Barth Feldman.

Die Einheimische Maddie Barker (Jennifer Lawrence) lebt schon ihr ganzes Leben im mondänen Ferienort Montauk, der mit den Jahren immer mehr von reichen Touristen und Zugezogenen überrannt wird, die sich aufführen, als gehöre ihnen die Welt. Ihren Job als Uber-Fahrerin kann sie nicht mehr ausüben, da ihr Auto gepfändet wurde, weil Maddie die Grundsteuer für ihr frisch geerbtes Haus nicht bezahlen kann. Sie jobbt auch in einer Bar, aber das Geld reicht einfach nicht. Deshalb meldet sie sich auf eine seltsame Anzeige. Sie kann sich einen gebrauchten Buick Regal verdienen, wenn sie den Sohn des reichen Ehepaars Laird (Matthew Broderick) und Allison Becker (Laura Benanti) datet – und zwar richtig hart datet: Sie soll mit ihm Sex haben! Damit der schüchterne und sozial isolierte Percy (Andrew Barth Feldman) noch vor dem College mit dem realen Leben in Berührung kommt. Obwohl Maddie nicht mehr Anfang bis Mitte 20 ist, wie es eigentlich verlangt wird, bekommt sie den Job, weil sie schlagfertig ist. Doch der erste Versuch, sich an den unselbständigen jungen Mann heranzuschmeißen, endet in einer Peinlichkeit. Erst langsam gewinnt sie sein Vertrauen und lockt Percy aus seinem Schneckenhaus.

Jennifer Lawrence und Andrew Barth Feldman in „No Hard Feelings“ (© Sony Pictures)

Eine reale Kleinanzeige liefert Idee für „No Hard Feelings“

Basierend auf einer wahren Begebenheit – dieses Label wird gerne verwendet, um das Interesse des Kinopublikums zu wecken. Bei Gene Stupnitsky („Good Boys“) und seinem zweiten Kinofilm „No Hard Feelings“ wird dieses Branding zwar nicht offiziell eingesetzt, aber die Idee für die anzügliche Komödie stammt tatsächlich von einer echten Craigslist-Anzeige – also jener Anzeigenseite, die in Amerika so bekannt ist wie bei uns Ebay-Kleinanzeigen. Stupnitsky und sein Drehbuchpartner John Phillips („The Office“) haben die Geschichte zwar erfunden, aber der Ausgangspunkt ist wahr. Das Grundgerüst der Handlung besteht aus altbekannten Versatzstücken mit einigen hysterischen Momenten und wirkt schon oft wie ein Rückgriff in den 80er oder 90er Jahre. Doch die moderne Klamotte mit ihrem sommerlichen Urlaubsflair im schönen Montauk ist erstaunlich unterhaltsam, selbst wenn die Story nie wirklich einen hohen Grad an Glaubwürdigkeit hat.

Regisseur mit feinem Gespür für Charaktere

Das liegt zum einen an Stupnitskys Gespür dafür, seine Figuren in allerlei peinlichen Situationen nur selten der Lächerlichkeit preiszugeben. Als Maddie und Percy beim nächtlichen Nacktbaden im Meer von ein paar Jugendlichen ihrer Kleidung beraubt werden, schaltet sie splitterfasernackt in den Kampfmodus, um sich ihre Sachen und ihre Würde zurückzuholen. Dieses Leitmotiv zieht sich durch den ganzen Film. Immer wieder versucht Maddie, ihren Platz in der sich wandelnden Gesellschaft zu behaupten. Die furchtlose Jennifer Lawrence („Die Tribute von Panem“, „Causeway“) geht dabei keine Kompromisse ein und zeigt vollen physischen Körpereinsatz, was dem harmlosen „No Hard Feelings“ in Nordamerika wegen pubertärer Gags und ein wenig Nacktheit ein lächerliches R-Rating einbrachte. Ihre Maddie ist eine erfrischend kantige Filmfigur, die Lawrence mit ihrer unwiderstehlichen Leinwandpräsenz zum Leben erweckt, was auch ganz nebenbei die Frage beantwortet, warum sich ein Superstar wie sie für solch eine leichte Komödie hergibt.

Jennifer Lawrence in „No Hard Feelings“ (© Sony Pictures)

Gutes Timing der Gags

Auch das Timing der Gags stimmt oft. Bezeichnend dafür ist eine wunderbar komische Szene relativ zu Beginn, als Percys helikopternde Eltern, herrlich spießig und doch liebevoll gespielt von Matthew Broderick („Ferris macht blau“) und Laura Benanti („Gossip Girl“), zaghaft nach dem Alter von Maddie fragen, die ganz offensichtlich zu reif für ihren Sohn ist. Lawrence rückt Stück für Stück mit der Wahrheit heraus – das ist nicht nur urkomisch, sondern gibt dem Film auch Rückgrat, denn die Oscarpreisträgerin (für „Silver Linings“) spielt eben eine 32-Jährige (obwohl sie auch als etwas jünger durchgehen würde). Früher wäre Lawrences Figur höchstens 25 oder sogar jünger gewesen. Dieser neue Realismus ist wohltuend. Auch Andrew Barth Feldman („Weißes Rauschen“) darf seinen schüchternen, überbehüteten und sozial unterentwickelten Percy, der vor seinem Studium in Princeton erwachsen werden soll, in einer Coming-of-Age-Story mit einigen Nuancen in der Charakterisierung spielen und muss nicht ausschließlich den wahlweise verklemmten oder später liebestollen Trottel mimen. Neben all dem aus dem Trailer bekannten Klamauk gibt es auch berührende Momente, etwa wenn Percy in einem Restaurant herzzerreißend am Klavier den Hall-&-Oates-Klassiker „Man Eater“ vorträgt.

Film verliert in der zweiten Hälfte den Schwung

Allerdings verliert „No Hard Feelings” nach einer schwungvollen ersten Hälfte zunehmend an Drive, weil die Drehbuchautoren nicht so recht wissen, wie sie aus der Nummer herauskommen sollen. Der zweite Wendepunkt vor dem dritten Akt ist so vorhersehbar, dass es ärgerlich ist, wenn man bedenkt, wie sehr sich Stupnitsky bemüht hat, Klischees zu vermeiden. Man hat ein wenig das Gefühl, dass den Autoren die Ideen ausgegangen sind. Letztendlich ist die Auflösung zumindest zufriedenstellend gelungen. Denn der Film hat eine Menge Herz, was auch an den warmherzigen Nebenfiguren wie Maddies besten Freunden Sara (Natalie Morales) und Jim (Scott MacArthur) liegt.

Fazit: Gene Stupnitskys maßvoll frivole Sex-Komödie „No Hard Feelings“ ist gar nicht so dumpf und schablonenhaft, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Das liegt neben einem soliden Drehbuch vor allem an der wandlungsfähigen und überzeugenden Jennifer Lawrence, die ihrem beeindruckenden Rollenportfolio eine weitere komödiantische Facette hinzufügt.

Deutscher Kinostart von „No Hard Feelings“: 22. Juni 2023.

Wertung 3 / 5
Produktionsland

USA 2023

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