Inside
Willem Dafoe als moderner „Robinson Crusoe” in einem Hightech-Kunstknast
Der Literaturklassiker „Robinson Crusoe“ von Daniel Defoe aus dem Jahr 1719 wurde schon zigfach aus allen möglichen Blickwinkeln verfilmt. Doch Drehbuchautor Ben Hopkins („In Search Of Monsters“) hat noch eine neue Abwandlung gefunden, die der Dokumentarfilmer Vasilis Katsoupis („My Friend Larry Gus“) in seinem Spielfilmdebüt „Inside“ auf die große Leinwand bringt. Sein kammerspielartiges Thriller-Drama spielt in einem einzigen New Yorker Luxusapartment und erzählt die Geschichte eines Gestrandeten, der diesen hermetisch abgeriegelten goldenen Käfig nicht verlassen kann. Während Katsoupis und sein Drehbuchautor Hopkins viel Einfallsreichtum an den Tag legen, um den Story-Motor in dieser stark eingeschränkten Situation am Laufen zu halten, und Hauptdarsteller Willem Dafoe physisch alles gibt, zeigt „Inside” vor allem gegen Ende einige Abnutzungserscheinungen.
Der Einbruch in ein mondänes New Yorker Penthouse mitten in Manhattan läuft für den raffinierten Kunstdieb Nemo (Willem Dafoe) nach Plan. Er ist auf der Suche nach einem drei Millionen Dollar teuren Selbstporträt von Egon Schiele. Sein Partner am anderen Ende des Funkgeräts hackt sich durch das Sicherheitssystem des mit wertvollen Kunstgegenständen vollgestopften Luxusapartments. Der Räuber huscht hinein, während der Besitzer (Gene Bervoets) für längere Zeit verreist sein und sich in Kasachstan aufhalten soll. Doch als Nemo mit Hilfe seines Komplizen die ausgelöste Alarmanlage zum Schweigen bringen will, geht etwas schief. In wenigen Minuten riegelt das System die Hightech-Luxuswohnung hermetisch ab. Nemo ist gefangen – Kontakt zur Außenwelt? Keiner! Sein Partner am Funkgerät hat sich aus dem Staub gemacht und meldet sich nicht mehr. Der Kunsträuber beginnt, seine Falle zu erkunden und nach Vorräten zu suchen. Doch je länger Nemo eingesperrt ist – Tage, später Wochen – desto kritischer wird seine Lage. Wasser kann er nur aus der Bewässerungsanlage für die Pflanzen bekommen, der Haupthahn ist im Lockdown der Wohnung abgedreht. Richtig ungemütlich wird es, als der defekte Temperaturregler die Wohnung auf tropische 40 Grad aufheizt.

Eingeschlossen auf Entdeckertour
Wer seinen Schauplatz auf einen so kleinen Raum beschränkt, muss sich schon etwas einfallen lassen, um seinen Protagonisten zu beschäftigen. Das gelingt Regisseur Vasilis Katsoupis zunächst anständig. Gemeinsam mit dem Publikum geht Nemo auf seiner „Insel“ auf Schatzsuche, das Penthouse ist durch die Verriegelung komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Dass es sich bei dem Set von „Inside“ um ein Studio handelt und das reale New York durch Projektionen durch die Fenster erzeugt wird, ist zwar für das geübte Auge sichtbar, stört aber nicht weiter, da die Illusion gut genug funktioniert. Denn diese erste Phase des Eingesperrtseins hat etwas von Abenteuer und Entdeckung, wenn plötzlich bei jedem Öffnen des Kühlschranks Lou Begas „Macarena“ aus dem Kühlschrank plärrt oder sich der Gefangene mit den Kunstschätzen auseinandersetzt. Doch diese unbeschwerten Tage vergehen, und die Panik, entdeckt zu werden, weicht irgendwann schierer Todesangst, als klar wird, dass die Putzfrau Jasmine (Eliza Stuyck), die regelmäßig vor seiner Tür staubsaugt, ihn nie hören wird. Das ist die beste Phase von „Inside“.
Der Grat der Verzweiflung steigt
Diese pure Verzweiflung steht einem so wandlungsfähigen Mimen wie Willem Dafoe („Der Leuchtturm“) bestens zu Gesicht. Mit seiner drahtigen Physis lässt er die Zuschauerinnen und Zuschauer mitleiden – aber irgendwann wird die Ideendichte dünner. Fragt man sich als Betrachter noch eine Weile, was wohl die Hintergrundgeschichte des versierten Kunstkenners Nemo sein könnte, oder ob er vielleicht absichtlich in eine Falle gelockt wurde, wird mit zunehmender Dauer klar, dass „Inside“ keine substanziellen Antworten auf diese sich aufdrängenden Fragen geben wird. Nicht einmal auf die offensichtlichste: Warum hat Nemo kein Smartphone in der Tasche? Nicht einmal ein ausgeschaltetes für den Notfall?

Wichtige Fragen bleiben unbeantwortet
Der Dieb bleibt mit seinen Taten isoliert. Über seine Vorgeschichte erfährt man nichts. Der Eingeschlossene vereinsamt wie einst Tom Hanks in Robert Zemeckis‘ moderner Robinsonade „Cast Away – Verschollen“. Aber dieser Nemo hat keinen Wilson. Er nutzt einen anderen Katalysator, um menschliche Interaktion und Emotion zu simulieren. Denn er beginnt einen künstlerischen Diskurs und bemalt in zunehmendem Wahn die Wände. So wird die nach und nach dekonstruierte Wohnung selbst zu einer Art Rauminstallation.
Fazit: Vasilis Katsoupis‘ kammerspielartiges Kunsträuber-Thriller-Drama „Inside“ setzt ganz auf seinen überzeugenden Hauptdarsteller Willem Dafoe und eine Handvoll Ideen, die diese moderne Hightech-Version von „Robinson Crusoe“ tragen. Am Ende kann der Filmemacher die Spannung nicht ganz halten, aber sehenswert ist Dafoes Tour de Force allemal.
Deutscher Kinostart von „Inside“: 16. März 2023. Wir haben den Film bei der Berlinale 2023 gesehen.
Wertung | 3 / 5 |
---|---|
Produktionsland | Griechenland/Deutschland/Belgien 2023 |
There are no reviews yet.