Im Westen nichts Neues

2022148 minab 16,

Neuverfilmung des Antikriegsklassikers für die Netflix-Generation

Der deutsche Oscar-Beitrag 2023 setzt sich wieder einmal mit dem Thema Krieg auseinander – wie könnte es anders sein. Unsere düstere Geschichte interessiert nach Ansicht des Academy-Auswahlkomitees im Ausland immer noch am meisten. Dieses Mal geht es ausnahmsweise um den Ersten Weltkrieg und nicht um den Zweiten. Regisseur Edward Berger („Deutschland 83“) verfilmt Erich Maria Remarques auf eigenen Erfahrungen beruhenden Kriegsroman „Im Westen nichts Neues“ aus dem Jahr 1929 neu. Nach Lewis Milestones Kino-Verfilmung (1930) und Delbert Manns TV-Adaption (1979) ist Berger bereits der dritte Filmemacher, der sich an dem Antikriegsklassiker abarbeitet – und zwar direkt für den Streaminganbieter Netflix. Dabei hätte das handwerklich überzeugende Kriegsdrama mit seinen groß gedachten Kinobildern des Kriegsschreckens auf die große Leinwand gehört.

Im Frühjahr 1917 herrscht unter der deutschen Jugend noch unbeschwerte Kampfesstimmung. Der patriotische 17-jährige Paul Bäumer (Felix Kammerer) zieht mit seinen Freunden Albert (Aaron Hilmer) und Frantz (Moritz Klaus) enthusiastisch in den Krieg. Doch bald trifft der jugendliche Elan auf die bittere Realität des Schlachtfelds. An der Westfront freunden sich Paul, Albert und Frantz mit dem kriegserfahrenen Soldaten Stanislaus Katczinsky (Albrecht Schuch) an, der die Jungen unter seine Fittiche nimmt. Doch schon beim ersten Angriff der Franzosen dreht die Stimmung. Paul überlebt knapp, verfällt aber in Panik, als er merkt, dass einige seiner Kameraden getötet wurden. Währenddessen bemüht sich der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger (Daniel Brühl), einen Waffenstillstand mit den Franzosen auszuhandeln, um das Grauen zu beenden.

Albrecht Schuch, Edin Hasanovic und Felix Kämmerer in „Im Westen nichts Neues“ (© Netflix)

Gute Schauspielleistungen und dramaturgische Schwächen

Mögen die Figuren bei „Im Westen nichts Neues“ auch fiktiv sein, der Hintergrund des brutalen Kriegs ist jedoch real. Und diese Unmenschlichkeit zeigt Edward Berger eindrucksvoll. Handwerklich leistet der Regisseur bei der ersten deutschen Verfilmung des Stoffes wirklich saubere Arbeit, sodass sich sein Film mit internationalen Standards messen kann. Nur manchmal wirken die ästhetischen TV-Bilder ein wenig zu klinisch. Das gilt auch für die Emotionen. Das Kriegsdrama ist zwar von dem stark besetzten Ensemble solide gespielt – denn es ist natürlich immer eine Freude, den hochtalentierten Albrecht Schuch („Berlin Alexanderplatz“) in einer der Hauptrollen zu sehen, aber der letzte Funke will nicht überspringen. Vielleicht sind es auch die Kleinigkeiten, die gelegentlich stören. Da befiehlt General Friedrichs (Devid Striesow) in den letzten Minuten vor dem vereinbarten Kriegsende noch einen Kamikazeangriff, der zum Tod von Dutzenden Soldaten führt. Das ist historisch äußerst fragwürdig. Es bleibt der Eindruck, dass die Story unnötig aus dramaturgischen Gründen auf die Spitze getrieben wird. So kritisiert Deutschlands prominentester Militärhistoriker Sönke Neitzel im MDR-Interview: „Dass der General zwei Stunden vor Kapitulation noch den Gegenangriff befiehlt. Das ist natürlich eine Karikatur. Es ist die Erzählung von der bösen Generalität und den armen Soldaten, die geopfert werden. Das halte ich schlicht für Unsinn.“ Dieses wenig subtile Ende, das vom Buch abweicht, schwächt die Kraft des Films.

Öffnung der Erzählperspektive

Perspektivisch hält Berger sein Werk eng am kleinteiligen Kriegsgeschehen in der Schlacht, was einen unmittelbaren Eindruck von der irrsinnigen Brutalität vermittelt, die dort herrscht. Man ist als Zuschauer ganz nah dran an den Figuren, an dem Leid und an der Hoffnungslosigkeit, die nur durch kleine Episoden der Aufheiterung unterbrochen wird. Remarques pazifistischer Ansatz aus der Buchvorlage geht dabei nicht verloren. Aber so ganz traut der Regisseur – im Gegensatz zu seinen Vorgängern – dieser Verengung der Erzählweise nicht und bringt mit dem Handlungsstrang um den friedenssuchenden Zentrumspolitiker Erzberger und dem klischeehaft kriegsstrotzenden General Friedrichs doch noch die große Außenansicht auf den Ersten Weltkrieg ins Spiel. Das macht  „Im Westen nichts Neues“ letztendlich beliebiger und weniger spezifisch als zum Beispiel Sam Mendes‘ beeindruckendes Kriegsdrama „1917“, bei dem der Brite diese Zuspitzung der Sichtweise konsequent durchhielt.

Fazit: „Im Westen nichts Neues“ ist eine grundsolide erzählte und technisch herausragende Neuverfilmung von Erich Maria Remarques Antikriegsklassikers – eine Anpassung des Themas für die Netflix-Generation. Das Kriegsdrama bietet große Bilder auf der kleinen Mattscheibe, ist gut gespielt, nur auf emotionaler Ebene wäre vielleicht noch mehr möglich gewesen.

Streaming: „Im Westen nichts Neues“ ist seit dem 28. Oktober 2022 im Abo auf Netflix abrufbar.

Seit 6. April 2023 auf Blu-ray & DVD erhältlich.

Wertung 3,5 / 5
Produktionsland

Deutschland 2022

Cast & Crew

Felix Kammerer

Paul Bäumer

Albrecht Schuch

Stanislaus Katczinsky

Edin Hasanovic

Tjaden Stackfleet

Aaron Hilmer

Albert Kropp

Moritz Klaus

Franz Müller

Daniel Brühl

Matthias Erzberger

Thibault de Montalembert

General Ferdinand Foch

Devid Striesow

General Friedrichs

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