Holy Spider
Ein stylisher Noir-Thriller, der eine düstere Innenansicht des Iran bietet
Im Iran kämpfen Frauen heute für die Stärkung ihrer Rechte – gegen den massiven Widerstand des Regimes, das die Revolution gewaltsam niederschlägt und sich konsequent abschottet. Das Land ist für den Westen eine Black Box. Das musste auch der im Iran geborene schwedische Filmemacher Ali Abbasi trotz aller Hartnäckigkeit feststellen. Ursprünglich wollte der „Border“-Regisseur den in seiner Heimat der Jahre 2000 und 2001 spielenden Serienkiller-Thriller „Holy Spider“ vor Ort drehen, was ihm aber nicht ermöglicht wurde. Mehr noch: Der Staat übte Druck aus, als Abbasi seinen Film in der Türkei filmen wollte und verhinderte auch dies. Letztendlich drehte der Schwede in Jordanien als Ersatz für die iranische Metropole Mashhad, wo die Handlung spielt. Abbasi legt mit „Holy Spider“ einen fantastisch aussehenden Film Noir vor, der nicht von der Spannung der Mörderjagd oder gar von Subtilität lebt, sondern stattdessen mit einer packenden Atmosphäre und der überragenden Hauptdarstellerin Sahra Amir Ebrahimi überzeugt.
2000: Die Stadt Mashhad wird von einer Serie von Morden an Prostituierten erschüttert. Das Muster der Verbrechen ist immer das gleiche. Der Täter lockt die Frauen, die in den engen Gassen der Metropole auf der Suche nach Freiern sind, auf seinen Motorroller und bringt sie zu sich nach Hause, wo er sie brutal ermordet. Die Teheraner Journalistin Arezu Rahimi (Sahra Amir Ebrahimi) recherchiert in Mashhad und stößt bei der Polizei auf wenig Unterstützung. Nur ihr Kollege Sharifi (Arash Ashtiani) steht ihr zur Seite. Als sich die mutige Arezu als Lockvogel in eine der dunklen Ecken der Stadt begibt, schnappt die Falle zu. Der Kriegsveteran und dreifache Familienvater Saeed Hanaei (Mehdi Bajestani) wird als Hauptverdächtiger der Morde verhaftet und angeklagt. Doch er versucht, einen Deal mit Politik und Justiz zu machen, denn sein Kreuzzug gegen die Unkeuschheit findet breite Unterstützung im Volk und bei den Mächtigen.

Politischer Druck auf Hauptdarstellerin und Regisseur
Nach der Weltpremiere von „Holy Spider“ in Cannes wurden Hauptdarstellerin Sahra Amir-Ebrahimi („Teheran Tabu“) und Regisseur Ali Abbasi in ihrem Geburtsland der Blasphemie beschuldigt – und sogar Rufe nach ihrer Hinrichtung laut. Verständlich, dass das Werk im Iran nicht realisiert werden konnte, zu brisant sind Inhalt und Erzählweise für das Regime. Dennoch bietet der Serienkiller-Film eine spannende Innenansicht – nur eben von außen. Regisseur Abbasi: „Ich komme aus dem Iran. Ich bin dort geboren und aufgewachsen. Ich muss keine Puppenhausversion des Irans machen.“ Der Filmemacher weiter: „Der Ort, den wir betrachten, Mashhad, ist wie viele dieser großen Metropolen im Nahen Osten. Sie haben sich in unscheinbare Industriestädte verwandelt, halb Favela, halb Betonwüste mit ein paar historischen Gebäuden. Sie finden diese Orte in der Türkei, in Jordanien und wahrscheinlich an vielen anderen Orten.“
Sahra Amir Ebrahimi überragt
Das Fundament des düsteren Thrillers ist seine visuelle Brillanz – extreme Farbgebung, Licht- und Schattenspiele, „Holy Spider“ hat Stil. Die couragierte Heldin Arezu ist eine Außenseiterin. Sie kommt aus der Hauptstadt, sticht in ein Wespennest und wird gleichzeitig als selbstbewusste, intelligente Frau von den männlichen Autoritäten bestenfalls mit Argwohn betrachtet. In einer Szene bedrängt sie der zunächst kooperativ wirkende Polizist Rostami (Sina Parvaneh) sogar körperlich. Die 2006 aus dem Iran nach Paris geflohene Sahra Amir Ebrahimi spielt dies mit einer enorm einnehmenden Präsenz, die hinter der zur Schau gestellten Stärke auch Zerbrechlichkeit zeigt. Dafür gab es zurecht den Darstellerinnen-Preis der Filmfestspiele von Cannes. Ihre Figur Arezu wäre heute ein Archetyp für die Proteste mutiger Frauen im Iran.

Genrefilm mit politischem Unterbau
In erster Linie ist „Holy Spider“ ein Genrefilm über einen religiös motivierten Serienmörder, der wie eine Spinne ein Netz auf Beutefang auswirft. Aber natürlich lädt Abbasi sein Werk politisch auf, indem er die Hetzjagd irgendwann zu einem Justizdrama werden lässt, wenn es darum geht, ob Saeed verurteilt wird oder der Allgemeinheit nur einen Dienst erwiesen hat. Besonders subtil ist der Regisseur hier nicht mehr. Je weiter die Handlung voranschreitet, desto plakativer und westlicher wird sein Blick auf die Geschichte. Dennoch verliert sein Film, der auch vor expliziter Gewalt nicht zurückschreckt, nicht an Wucht. „Holy Spider“ ist immer emotional.
Fazit: Ali Abbasis stylisher Noir-Thriller „Holy Spider“ erzählt nicht nur eine packende Serienmördergeschichte mit echtem Punch, sondern zeigt auch einen spannenden Blick aus dem Exil auf den Iran. Im Kern geht es nur sekundär um das Verbrechen als Whodunit-Krimi, sondern vielmehr um die gesellschaftlichen Verwerfungen im Iran.
Deutscher Kinostart von „Holy Spider“: 12. Januar 2023.
Wertung | 4 / 5 |
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Produktionsland | Dänemark/Deutschland/Schweden/Frankreich 2022 |
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