Emancipation

2022132 minab 16, ,

Ein großer Big-Budget-Kinofilm über die Sklavenbefreiung als kleine Streamingpremiere

1863 veröffentlichte die Zeitschrift „Harper’s Weekly“ ein erschütterndes Foto des „Gepeitschten Peter“. Es zeigt den grotesk vernarbten Rücken eines verstümmelten Sklaven. Die schockierte Reaktion der Öffentlichkeit half damals, den Widerstand gegen dieses unmenschliche System der Sklaverei zu stärken. Regisseur Antoine Fuqua erzählt in „Emancipation“ die Geschichte Peters, der zu einer Ikone wurde. Auch wenn das Timing nicht schlechter sein könnte, weil noch nicht genügend Gras über den Ohrfeigen-Skandal von Hauptdarsteller Will Smith bei der Oscarverleihung gewachsen ist, schwächelt der Film selbst nicht. Der Historien-Action-Thriller ist handwerklich wie erwartet gut und Smith spielt wirklich stark. Nur die Emotionen sind beim ähnlich konzipierten „12 Years A Slave“ wesentlich greifbarer. Fuqua hat eher die archaische „Apocalypto“-Genrevariante dieses Themas gedreht und mit „Glory“ vermischt.

Louisiana, 1863: Der Familienvater Peter (Will Smith) wird von brutalen Sklavenjägern gefangen, von seiner Frau Dodienne (Charmaine Bingwa) und den Kindern getrennt und zu schwerer körperlicher Arbeit unter unmenschlichen Bedingungen gezwungen. Mit weiteren Sklaven wird Peter für den Bau einer Eisenbahnstrecke eingesetzt und gefoltert. Als er mit einigen Männern durch die gefährlichen Sümpfe Louisianas fliehen kann, heftet sich der skrupellose Sklavenaufseher Jim Fassel (Ben Foster) mit seinen Schergen an Peters Fersen. Ziel der Flüchtenden ist Baton Rouge, wo die Unionsarmee warten soll, um Präsident Lincolns Befehl zum Ende der Sklaverei durchzusetzen. Nur der nicht auszulöschende Glaube an das Wiedersehen mit seiner Familie hält Peter in der brandgefährlichen Umgebung am Leben.

Will Smith in „Emancipation“ (© AppleTV+)

Apple gewinnt Bieterwettstreit um Filmrechte – und verliert doch!

2020 lieferten sich der Streamingdienst AppleTV+ und das Studio Warner Bros. einen erbitterten Bieterwettstreit um die Rechte an dem Projekt „Emancipation“ – mit im Paket: Superstar Will Smith, Regisseur Antoine Fuqua und die starke Geschichte über die erschütternde Flucht des berühmten Sklaven Peter. Zwei Jahre später dürften die Verantwortlichen in der Warner-Zentrale in Burbank, Kalifornien dagegen Feix-Tänze voll purer Glückseligkeit aufgeführt haben, als klar wurde, dass die Streamingkonkurrenz von Apple auf einem 120 Millionen Dollar teuren Scherbenhaufen sitzt. Will Smith hatte gerade auf dem Höhepunkt seiner Karriere mit seinem verdienten Oscargewinn für „King Richard“ seinem Schauspielkollegen Chris Rock vor Millionen von Zuschauern weltweit eine deftige Ohrfeige verpasst und seine Karriere erstmal das Klo heruntergespült. AppleTV+ musste den fertigen Film verschieben, im Dezember 2022 kommt „Emancipation“ dann doch heraus, um in einem Akt der puren Verzweiflung ins Oscarrennen einzusteigen. Weil der Film nicht regulär im Kino läuft und Apple keine Abrufzahlen veröffentlicht, bleibt Smith die in den Lichtspielhäusern garantierte Flop-Demütigung erspart, aber die Premiere auf der vergleichsweise kleinen Streamingplattform ohne viel Tamtam ist für einen derart teuren Film schon demütigend genug.

Die Leiden des ikonischen Sklaven Peter

Antoine Fuqua („Training Day“, „Die glorreichen Sieben“) legt „Emancipation“ als einen Genremix aus emotionalem Rassendrama, actiongeladenem Überlebensthriller und klassischem Bürgerkriegsfilm an. Mit seiner sehr unmittelbaren, physischen Inszenierung will der Regisseur die Qualen des Sklaven Peter erlebbar machen – und das gelingt auch eindrucksvoll. Fuqua schont sein Publikum nie. Man leidet mit jeder Attacke auf das Leben des Protagonisten mit. In eiskalten, farbentsättigten Bildern visualisiert Kameralegende Robert Richardson („Once Upon A Time In Hollywood“, „JFK“) schaurig-beeindruckend das Grauen. Je nach Lichteinfall erhaschen die Zuschauer einen Hauch von Farbe – fast wie die Hoffnung auf Rettung, die mal größer ist und dann wieder schwindet, wenn die Bluthunde des Häschers Fessel wieder näher kommen. Die technische Brillanz ist gewiss kein Wunder, schließlich ist Fuqua ein hervorragender Handwerker. Aber ein großer Geschichtenerzähler war der Filmemacher eben auch nie. Dieser Eindruck zementiert sich auch bei „Emancipation“.

Ben Foster in „Emancipation“ (© AppleTV+)

Archaische Charakterzeichnung, wenig Tiefe

Die Charakterzeichnung ist mit viel Wohlwollen der guten Absichten archaisch. Man bekommt ein wenig Hintergrund über Peter und seine geliebte Familie, aber mehr auch nicht. Er bezieht seine Kraft aus dem Glauben an Gott. Ein Gutmensch, der auf das genaue Gegenteil trifft – brutale Sklavenhalter. Schwarz und weiß! Ben Foster („Hell Or High Water“) ist als gnadenloser Jäger eine sichere Bank und schafft mit wenig Mimik viel Bedrohungspotential. Aber auch seine Figur bekommt bis auf einen kurzen Erklärungsversuch am Lagerfeuer, warum er an das unmenschliche System von Herr und Sklave glaubt, keine Vertiefung des Charakters. Fuqua inszeniert „Emancipation“ stattdessen als zweieinhalbstündigen Überlebenskampf, den Will Smith mit seiner eindringlichen und doch zurückhaltenden Low-Key-Performance trägt.

Fazit: Die Grundidee, mit „Emancipation“ einen großen Kinofilm über die Unmenschlichkeit der Sklaverei zu drehen und auch in der heutigen Zeit zu mahnen, aus den fatalen Fehler der Vergangenheit zu lernen, ist aus verschiedenen Gründen fehlgeschlagen – auch weil ein 120 Millionen Dollar teurer Film mit Hollywoods Persona Non Grata Will Smith schlicht ein toxisches PR-Desaster ist. Der energetische Survival-Thriller selbst ist solide und hätte formal auf die große Leinwand gehört – dort wären seine Stärken wesentlich besser zur Geltung gekommen als auf der kleinen Mattscheibe.

Streaming: „Emancipation“ ist seit dem 9. Dezember 2022 im Abo bei AppleTV+ abrufbar.

Wertung3 / 5
Produktionsland

USA 2022

Kommentar verfassen

There are no reviews yet.