Die Frau im Nebel

2023138 minab 16,

Meisterhafter Neo-Noir-Thriller, der „Vertigo“ mit „Basic Instinct“ kreuzt

Meisterregisseur Park Chan-wook steht für knallharte Action-Dramen wie „Oldboy“ (2003) oder „Sympathy For Mr. Vengeance” (2002), doch der südkoreanische Auteur kann auch anders, wie er mit seinem erotischen Historien-Thriller „Die Taschendiebin“ (2016) beweist. Eines haben seine Werke aber immer gemeinsam: Sie sind raffiniert inszeniert und oft verschachtelt – nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Stets gibt es mehrere Erzählebenen, die sich Schicht für Schicht enthüllen. Das gilt auch für seinen romantisch-melancholischen Neo Noir „Die Frau im Nebel“ – ein wunderschön gefilmter, düsterer Thriller, mit dem der Regisseur seinem Vorbild Alfred Hitchcock kunstvoll Tribut zollt und ihn mit der unwiderstehlichen Dynamik eines „Basic Instinct“ kreuzt. Der Film entwickelt einen unglaublichen Sog und wächst am Ende zu einer echten Kinoerfahrung aus, die sein Publikum benommen-staunend zurücklässt.

Der erfahrene Kommissar Jang Hae-joon (Park Hae-il) arbeitet in Busan und führt eine komplizierte Fernbeziehung mit seiner Frau, der Atomkraftwerksarbeiterin Jeong-ahn (Lee Jung-hyun). Während sie weit entfernt in Ipo lebt, geht Hae-joon in der Millionenmetropole auf Mörderjagd – geplagt von Insomnie, die ihn nachts kaum schlafen lässt. Doch dann reißt ihn ein faszinierender Fall aus seiner Lethargie. Als der pensionierte Grenzpolizist und passionierte Kletterer Ki Do-soo (Yoo Seung-mok) tot am Fuße eines Felsens gefunden wird, deutet zunächst alles auf einen tragischen Unfall hin. Do-soos wesentlich jüngere Frau, die aus China eingewanderte Altenpflegerin Seo-rae Song (Tang Wei), hat ein wasserdichtes Alibi. Hae-joon entwickelt Empathie für die Witwe und beginnt, sie nachts zu observieren, weil er ohnehin nicht schlafen kann. Als er herausfindet, dass Seo-rae in ihrer Heimat ihre schwerkranke Mutter mit Fentanyl umgebracht haben soll, wird der Kommissar misstrauisch, doch da hat er sich längst in die Verdächtige verliebt.

Hae-il Park in „Die Frau im Nebel“ (© Plaion Pictures)

Chan-wook Park zitiert sein Vorbild Hitchcock

Die Motive, die Park Chan-wook in „Die Frau im Nebel“ verarbeitet, sind alles andere als neu. Der Regisseur bedient sich ausgiebig in der Filmgeschichte. Die Reminiszenz an Hitchchocks Über-Meisterwerk „Vertigo“ ist ebenso allgegenwärtig wie die inhaltliche Nähe zu Paul Verhoevens 90er-Jahre-Monsterhit „Basic Instinct“ – nur dass Park Chan-wook auf die berühmt-berüchtigten Sexszenen des Erotik-Thrillers verzichtet. Doch die Obsession, die der abgebrühte Polizist Hae-joon entwickelt, erinnert stark an den von Michael Douglas gespielten Cop, der der Femme fatale Sharon Stone völlig verfallen ist. Aber Park Chan-wook liefert eine Arthouse-Variation des Verhoeven-Klassikers, der sich wie der Südkoreaner hier auf Hitchcock beruft. Vielleicht ist das aber auch alles nur Zufall, denn der Regisseur gibt an, sich bei der Inspiration zu „Die Frau in Nebel“ auf die zehnteilige schwedische Buch-Reihe „Roman über ein Verbrechen“ von Maj Sjöwall und Per Wahlöö zu beziehen, die als Vorlage für die Kult-Fernsehserie „Kommissar Beck – Die neuen Fälle“ diente. Und Park Chan-wook fragt nun: „Was wäre, wenn Martin Beck sich in eine Verdächtige verlieben würde?“ Als kleines Gimmick ist in einer Szene die komplette Beck-Romanreihe auf einem Tisch zu sehen.

„Die Frau im Nebel“ steigert sich in einen atmosphärischen Rausch

Doch auch wenn der Filmemacher konkret auf den Geist des mürrisch-akribischen Kommissars Martin Beck verweist, ist die inszenatorische Verwandtschaft zu den oben genannten Vorbildern unübersehbar, und trotz aller Parallelen ist „Die Frau im Nebel“ durch und durch ein Park-Chan-wook-Film. Denn der Südkoreaner veredelt diese Zutaten zu einem romantischen Thriller, der routiniert und inhaltlich wenig außergewöhnlich als klassischer Whodunit beginnt, sich aber nach und nach in einen soghaften Rausch steigert, der von den Bildern des Kameramanns Jp Ji-yong („A Bittersweet Life“, „Okja“) als kunstvolles Spiel mit Farben, Licht und Stimmungen perfekt getragen wird. Irgendwann kann man sich dem Film nicht mehr entziehen, die düster-bedrückende Atmosphäre, die Park Chan-wook erschafft, wird zum Schneiden dicht. Sogar beiläufigen Humor lässt der Regisseur in seinen Genremix einfließen, ohne das Gleichgewicht der doppelbödigen Erzählung ins Wanken zu bringen. Dafür wurde er in Cannes zu Recht mit dem Regiepreis ausgezeichnet.

Tang Wei und Hae-il Park in „Die Frau im Nebel“ (© Plaion Pictures)

Regisseur attackiert Sehgewohnheiten des Publikums

Doch was wäre „Die Frau im Nebel“ ohne seine beiden Hauptdarsteller? Während Tang Wei („Blackhat“) als Femme fatale eine geheimnisvolle Vielschichtigkeit offenbart, spielt Park Hae-il („The Host“) den cleveren Polizisten, der zu spät merkt, wie sehr er von der hübschen Seo-rae manipuliert wird, wie jemanden, der aus tiefem Schlaf erwacht und nicht weiß, ob er sich in einem Traum oder einem Albtraum befindet. Denn der Regisseur geht mit seiner Geschichte noch einen Schritt weiter. Er destabilisiert die Sehgewohnheiten des Publikums und lässt immer wieder Zweifel zu, obwohl Hae-joon sich sicher ist, dass seine unerfüllte Liebe hinter den sich häufenden Todesfällen stecken muss –  bis hin zum herzzerreißenden Ende, das in seiner unerbittlichen Konsequenz niemanden im Publikum kalt lässt.

Fazit: Park Chan-wook liefert mit dem Neo-Noir-Thriller „Die Frau im Nebel“ ein weiteres Meisterwerk ab, das elegant Bezüge zur Filmgeschichte herstellt und dank der inszenatorischen Brillanz seines Regisseurs dennoch völlig eigenständig bleibt. Die düstere Geschichte einer tragischen, melancholisch-zärtlichen Liebe geht emotional ans Eingemachte.

Deutscher Kinostart von „Die Frau im Nebel“: 2. Februar 2023.

Wertung 4,5 / 5
Produktionsland

Südkorea 2022

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