Causeway
Ein feines, intimes Porträt zweier verkorkster Seelen
Oscargewinn (für „Silver Linings“), drei Golden Globes (ebenfalls für „Silver Linings“ sowie „American Hustle“ und „Joy“), dazu mit „Die Tribute von Panem“ ein megaerfolgreiches Franchise in der Hauptrolle sowie mit „X-Men“ eines in der Nebenrolle – Jennifer Lawrence war bis vor vier Jahren überall. Omnipräsent! Doch nach all diesem gigantischen Erfolg haderte sie mit ihren weiteren Entscheidungen. So klagt Lawrence seit Jahren (zu Unrecht) über ihr Mitwirken in der Sci-Fi-Romanze „Passengers“ (2016), die sicherlich nicht alle Erwartungen erfüllt hat, aber keineswegs so schlecht ist, wie viele ihr weiß machen wollen. Das experimentelle Horror-Drama „Mother!“ (2017) war hochumstritten, der Agenten-Thriller „Red Sparrow“ (2018) riss auch niemand so recht von den Sitzen und „X-Men: Dark Phoenix“ (2019) erwies sich als Lawrences Karrieretiefpunkt. Zeit für eine Pause, dachte sie sich und verabschiedete sich 2018 für drei Jahre von der Bildfläche.
Zwischen ihrer Heirat mit dem New Yorker Galleristen Cooke Maroney (Oktober 2019) und dem Beginn ihrer Schwangerschaft (September 2021) drehte Lawrence nicht nur Netflix‘ stargespickte Weltuntergangssatire „Don’t Look Up“, sondern mit „Causeway“ auch ein kleines, aber feines Indie-Drama, das sie selbst produzierte. Unter der Regie von Kinodebütantin Lila Neugebauer ist es nicht die keineswegs neue Geschichte um eine traumatisierte Kriegsveteranin, die bei ihrer Heimkehr Probleme mit ihrer Umwelt hat, die den Film sehenswert macht, sondern die herausragenden Leistungen von Jennifer Lawrence und vor allem ihrem Co-Star Brian Tyree Henry.
Die US-Berufssoldatin Lynsey (Jennifer Lawrence) wurde bei einem Einsatz in Afghanistan schwer verletzt. Sie geriet mit ihrer Einheit in eine Sprengfalle und erlitt eine Hirnblutung. Nach der zähen Reha versucht die junge Frau in ihrer alten Heimat New Orleans bei ihrer Mutter Gloria (Linda Emond) wieder ins Leben zurückzufinden. Lynsey leidet immer noch spürbar unter den Folgen des Anschlags, ist körperlich noch nicht wieder hergestellt und hat psychische Probleme. Trotzdem ist es ihr Ziel, wieder zum US Army Corps of Engineers, einer Bauingenieur-Truppe, zurückzukehren, obwohl sie dieser Aufgabe objektiv betrachtet kaum mehr gewachsen ist. Als sie nach einer Autopanne auf den Mechaniker James (Brian Tyree Henry) trifft, entwickelt sich eine ungewöhnliche Freundschaft zweier verletzter Seelen. Auch James trägt ein schweres Trauma mit sich herum, versucht es aber durch Arbeit, Feierabendbiere und ein bisschen Gras zu betäuben.
Jennifer Lawrence kehrt zu Wurzeln von „Winter’s Bone“ zurück
Um es gleich ganz klar zu sagen: Ohne Jennifer Lawrence hätte „Causeway“ wahrscheinlich nie das Licht der Leinwand erblickt, wo das Drama im September 2022 beim renommierten Filmfestival in Toronto seine Premiere feierte. Dabei profitiert der Film der Theaterregisseurin Lila Neugebauer aber nicht nur von Lawrences Starpower, sondern von ihrer schauspielerischen Extraklasse. Sie kehrt mit „Causeway“ zu ihren Indie-Wurzeln zurück, schließlich gelang ihr der Durchbruch zur Weltkarriere mit einer aufsehenerregenden Performance in dem Indie-Drama „Winter’s Bone“ (2010). Aber, um es vorwegzunehmen: „Causeway“ ist kein Indie-Spektakel wie „Winter’s Bone“! Hier werden leisere Töne angeschlagen.

Aus dem Gewöhnlichen entsteht eine ungewöhnliche Freundschaft
Die schwer kriegstraumatisierte Veteranin auf unsicheren Beinen in der neuen, alten Umgebung – die Grundkonstellation der Geschichte gibt nicht viel Ungewöhnliches her. Doch aus dieser Ausgangslage entwickelt sich langsam ein intimes Porträt einer strauchelnden jungen Frau, deren eigentliches Trauma viel tiefer liegt als auf dem Schlachtfeld in Afghanistan, sondern vielmehr in ihrer chaotischen Kindheit mit einer alkoholkranken Mutter und einem drogensüchtigen Nichtsnutz-Bruder (Russell Harvard). Auf ihrer unsicheren Suche nach Halt findet sie überraschend eine ungewöhnliche Freundschaft mit dem ebenso verkorksten Automechaniker James. Dabei erweist sich Brian Tyree Henry als der zweite Glücksfall von „Causeway“, denn der charismatische „Atlanta“-Star ist immer noch einer der meistunterschätzten Stars der zweiten Reihe Hollywoods, auch wenn er gerade in dem Big-Budget-Action-Blockbuster „Bullet Train“ seine erste ganz große Rolle hatte und sich dort als grandioser Szenendieb eine Menge Aufmerksamkeit erspielte.
Zwei gebrochene Menschen auf der Suche nach Liebe
Henrys Mechaniker James ist nach einem Unfall in der Vergangenheit ebenso gebrochen wie Lynsey, das offenbart sich aber erst Schicht für Schicht, die Regisseurin Neugebauer sorg- und behutsam abträgt. Henry gelingt so ein klischeefreies Porträt eines Mannes, der nicht mehr viel vom Leben erwartet, aber trotzdem funktioniert. Seine unwahrscheinliche Verbindung mit der versehrten Soldatin befeuert seinen Lebensmut – das zeigt Neugebauer aber nicht in großen Gesten, sondern in feinsten Nuancen, die Henry unaufgeregt perfekt ausspielt. Man ahnt und spürt, wie er sich in Lynsey verliebt hat, obwohl er weiß, dass sie lesbisch ist, wie Neugebauer ganz nebensächlich in einer kleinen Szene erklären lässt. Im Kern der Geschichte suchen beide nach Liebe, ohne es zu wissen – was sie stattdessen mit anderen Ablenkungen zu kompensieren versuchen. Lynsey möchte gegen jede Vernunft zurück nach Afghanistan und James sucht nur den Zustand einer sanften Betäubung, um das Leben überhaupt ertragen zu können.
Nie laut, nie reißerisch
Und so ist „Causeway“ immer in seinen leisen, intimen Momenten am besten, wenn Lynsey den nach außen souveränen James emotional ins Wanken bringt und seine Verwundbarkeit offenlegt – oder er sie zwingt, bitteren Realitäten ins Auge zu blicken. Das inszeniert Neugebauer nie laut oder gar reißerisch und nicht ansatzweise so manipulativ, wie es auf dem Papier klingen mag oder in einem Mainstream-Film umgesetzt worden wäre. Konsequenterweise zeigt die Filmemacherin kein einziges Bild aus Afghanistan und verzichtet so auf die Visualisierung des Traumas, um die volle Wucht des Dramas in die Hände ihrer Schauspieler zu legen.
Fazit: Regisseurin Lila Neugebauer kann sich bei ihrem Kinodebüt „Causeway“ einfach nur glücklich schätzen, mit Jennifer Lawrence und Brian Tyree Henry derart talentierte Stars in den Hauptrollen an Bord zu haben, dass ihr nicht gerade unkonventionelles Indie-Drama nicht zum rührseligen Tränenzieher, sondern zu einem feinen intimen Doppelporträt zweier schwer gebrochener Menschen auf der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft wird.
Streaming: „Causeway“ ist seit dem 4. November 2022 im Abo auf Apple TV+ abrufbar.
Wertung | 3,5 / 5 |
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Produktionsland | USA 2022 |
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