BlackBerry
Ein unterhaltsam-schräges Nerd-Märchen vom Erfinder des BlackBerry
Als das Internet gerade zum Leben erwachte, wurde der schillernde Mark Zuckerberg mit Facebook zum Superstar und geriet in den Brennpunkt der Medien, wo er sich ausgiebig sonnte. Sein soziales Netzwerk war eine Sensation – und cool. Heute ist die junge Generation längst weitergezogen und Facebook wird vor allem durch ältere Semester bevölkert. Zuckerbergs Magie ist verflogen. Wie elektrisierend die Anfänge seines kreativen Schaffens waren, hat David Fincher in „The Social Network“ (2010) brillant dargestellt. Einen ähnlichen Werdegang hat der Entwickler und Unternehmer Mike Lazaridis hinter sich – wenn auch weit weniger medienwirksam und mit einem Produkt, das nie wirklich lässig war. Denn der Erfinder des BlackBerry und Wegbereiter des Smartphones wirkt alles andere als glamourös, vielmehr ist der geniale Tüftler ein lupenreiner Nerd – inklusive eines an Autismus grenzenden Sozialverhaltens. Regisseur Matt Johnson zeichnet den Aufstieg und Fall von Lazaridis in seinem über weite Strecken sehr unterhaltsamen, tragikomischen Biopic „BlackBerry“ mit viel anarchischem Humor, der mit zunehmendem Verlauf dann doch Konventionalität weicht.
1997 wollen die beiden Technik-Nerds Mike Lazaridis (Jay Baruchel) und Doug Fregin (Matt Johnson) in der Provinz des kanadischen Waterloo den Handymarkt revolutionieren, sind aber im harten Business-Nahkampf völlig überfordert. Erst als sich der eiskalte Geschäftsmann Jim Balsillie (Glenn Howerton) mit 125.000 Dollar als Co-CEO in die Firma einkauft, weil er das gigantische Potenzial erkennt, schießt die Firma Research In Motion (RIM) wie ein Komet in den Markt. Die Tüftler entwickeln mit dem BlackBerry das erste einfache Smartphone und steigen Anfang der 2000er Jahre zum Marktführer auf. Während das introvertierte Genie Lazaridis die Innovationen im Unternehmen vorantreibt, führt Balsillie die Geschäfte mit großer Rücksichtslosigkeit. Als die Konkurrenz immer stärker wird, greift Balsillie zu einem Trick, um den technischen Vorsprung zurückzuerobern: Er stellt zwei überragende Top-Entwickler (Rich Sommer, SungWon Choi) ein, denen er zehn Millionen Dollar in Aktienoptionen als Handgeld verspricht – was allerdings nicht legal ist. Bald interessiert sich die Börsenaufsicht für den Fall.
Von der Garage zum Mega-Unternehmen
Zu seinen besten Zeiten setzte Research in Motion 20 Milliarden Dollar im Jahr um – allein Co-CEO und Gründer Mike Lazaridis war 2011 800 Millionen Dollar schwer. Und doch ist seine Geschichte die eines gescheiterten Genies. So innovativ der in der Türkei geborene griechische Einwanderer mit der Entwicklung des ersten Smartphones auch ein Jahrzehnt lang war, im entscheidenden Moment führte er sein Riesenunternehmen durch eine Fehlentscheidung vom Marktführer in die Bedeutungslosigkeit, weil er nicht an den Touchscreen als Bedienoberfläche glaubte. Die Folge: Apple überrollte Research in Motion brutal.

Jay Baruchel und Glenn Howerton glänzen in den Hauptrollen
Doch davon erzählt „BlackBerry“ nur am Rande. Regisseur Matt Johnson („Operation Avalanche“), der auch in einer Nebenrolle als Mikes bester Weirdo-Stirnband-Freund Doug zu sehen ist, zeigt vor allem den Weg nach oben und zeichnet den Aufstieg als unwahrscheinliches Start-up-Märchen nach. Ein Haufen völlig durchgeknallt-naiver Nerds, die ausflippen, wenn man ihnen die heilige „Movie Night“ in der Firma streichen will, schafft tatsächlich Bahnbrechendes, auch weil Co-CEO Jim Balsillie mit dem von „Total Recall”-Bösewicht gespielten Aufseher Purdy eine Art Peitsche schwingenden Kindergärtner einstellt, der dafür sorgt, dass die disziplinarmen Mitarbeiter zu innovativen Höchstleistungen getrieben werden.
Während Jay Baruchel („Das ist das Ende“) seinen Mike Lazaridis als sympathisch-verkopften Ober-Nerd gibt, der sich immer mehr zum rechthaberischen Eigenbrötler entwickelt, darf Glenn Howerton („It’s Always Sunny In Philadelphia“) als Supercholeriker Jim Balsillie zwei Stunden lang herumbrüllen – was bizarr-faszinierend ist. Zwar bedient Johnson in „BlackBerry“ vor allem bei den Hauptfiguren Klischees, aber sowohl Baruchel als auch Howerton sorgen immer wieder für spannende Momente abseits des Erwartbaren. Balsillie, der ewige Schreihals, ist zwar ein Arschloch, aber eines mit Charakter. Der überragende Howerton gewinnt ihm Sympathien ab – zum Beispiel gleich zu Beginn, als klar wird, dass er sein Haus schwer beleihen muss, um sich in die Firma einzukaufen, die zu diesem Zeitpunkt weder ein Produkt noch Kunden hat – nur große Visionen. Ironischerweise gilt Jim Balsillie schon seit Jahren als großer Philanthrop, der sich mit riesigen Summen sozial und kulturell engagiert.
Nerd-Overkill und Low-Key-Inszenierung
Inszenatorisch kann „BlackBerry“ nicht ganz mit seinen offensichtlichen Pendants „The Social Network“, Martin Scorseses „The Wolf Of Wall Street“ oder auch der ApplePlus-Serie „WeCrashed“ mithalten. Dafür hat Johnson weder die Klasse noch das Budget. Hier wirkt der Film eher wie die „Napoleon Dynamite“-Variante des Sujets. Johnson ist mit der Kamera oft sehr nah dran am Geschehen und fängt die eine oder andere Grimasse wie in einer Sitcom ein. Dieser satirische Ansatz wirkt am Ende eher störend als dynamisch. Auch etwas weniger Nerdigkeit hätte gut getan, die zwar für den einen oder anderen Gag sorgt, aber das dramatische Potenzial bremst. Die technischen Defizite gleicht Johnson mit Einfallsreichtum aus. Vor allem zu Beginn streut er immer wieder bewusst klassische Filmzitate in die Handlung ein – das ist nicht nur amüsant, sondern auch geistreich.
Fazit: Matt Johnsons höchst unterhaltsames Techgeek-Biopic „BlackBerry“ wirkt inhaltlich wie eine Mischung aus „The Social Network“ und „The Wolf Of Wolf Street“, bewahrt aber durch seine Low-Key-Inszenierung völlig seine Eigenständigkeit – ein sympathischer Film über Aufstieg und Fall des BlackBerry-Gründers Mike Lazaridis.
Deutscher Kinostart von „BlackBerry“: 7. Dezember 2023. Wir haben den Film bei der Berlinale 2023 gesehen.
Wertung | 3,5 / 5 |
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Produktionsland | Kanada 2023 |
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