Barbie

2023114 minab 6, ,

Ein pinkfarbener Feminismus-Kracher im Gewand eines innovativen Blockbusters

Die hohen Damen und Herren in der Chefetage von Mattel werden Regisseurin Greta Gerwig und vor allem Warner Bros. schier Unmenschliches leistenden Marketingcrew auf Knien danken. Der Absatz der Barbie-Puppen, die seit 64 Jahren Generationen von Kinderzimmern prägen, ist seit geraumer Zeit stark rückläufig. In diese Misere fegt die angesagte Indie-Filmemacherin mit ihrer kühnen Spielzeugverfilmung „Barbie“ wie eine Urgewalt und wird den Verkauf von „Barbie“-Merchandise in neue Dimensionen katapultieren. Denn ihre Feminismus-Fantasy-Satire ist zum meistgehypten Film seit vielen, vielen Jahren geworden. Nicht, weil „Barbie“ so herausragend wäre, aber die schrille Abrechnung mit männlicher Dominanz im Gewand der pinkfarbenen Barbie-Welt ist unglaublich frisch und originell. Die Kinozuschauer sind offenbar des x-ten Blockbuster-Einheitsbreis überdrüssig, den ihnen die großen Studios seit langem servieren.

Im pink glitzernden Barbieland dominieren die stets gut gelaunten Barbies, die morgens fröhlich in ihren farbenfrohen Dream Houses aufwachen und danach ihr sorgenfreies Leben genießen. So auch Stereotyp-Barbie (Margot Robbie), die als die begehrteste aller Barbies gilt. Ken (Ryan Gosling) ist dagegen nur einer von vielen Kens. Er ist ein Statist, der am Strand darauf wartet, dass Barbie vorbeikommt. Wenn sie ihn grüßt, ist es ein guter Tag, wenn nicht, ist es ein verlorener. Er hat keine Funktion, er ist einfach nur „Beach“ und steht am Strand herum. Als Barbie eines Tages negative Gedanken bekommt und an den Tod denkt, sucht sie in der realen Welt nach Antworten auf ihre erschreckenden Stimmungsschwankungen. Der neugierige und in Barbie verliebte Beach-Ken folgt seinem Schwarm nach Los Angeles. Zunächst erwartet die beiden ein Kulturschock. In ihren bunten Glitzeroutfits werden sie in der Westküstenmetropole wie Aliens wahrgenommen. Sie treffen auf eine Gesellschaft, die von patriarchalischen Strukturen geprägt ist und in der Frauen oft in traditionelle Rollen gedrängt werden. Diese Erfahrung wird zum Wendepunkt für Barbie, die beschließt, für Gleichberechtigung einzutreten und sich gegen diese Unterdrückung zu wehren. Aber auch Ken lernt aus seinem Besuch. In der Mattel-Zentrale sind die Oberen um den Firmenchef (Will Ferrell) aufgeschreckt, weil Barbie in der realen Welt aufgetaucht ist. Panik bricht aus.

Ryan Gosling und Margot Robbie in „Barbie“ (© Warner Bros.)

Greta Gerwig geht seltsame Wege bei kniffliger Aufgabe

Greta Gerwig („Lady Bird“) und ihr Co-Drehbuchpartner Noah Baumbach („Marriage Story“) haben mit der „Barbie“-Verfilmung eine heikle Aufgabe übernommen – eine gefeierte Indie-Regisseurin will in die künstliche Plastikwelt der berühmten Modepuppe eintauchen, die längst vom Zeitgeist aufgefressen wurde. Und dann sind da noch die Interessen des Mattel-Konzerns, die man zwar ein wenig satirisch auf die Schippe nehmen darf (was Gerwig auch tut), aber nicht zu sehr. Das üppige Budget von 145 Millionen Dollar muss schließlich finanziert werden. Und auch wenn „Barbie“ am Ende phänomenal funktioniert, war der Film auf dem Papier ein gewagtes Unterfangen. Doch obwohl Gerwigs Kinoversion fast zwei Stunden lang Werbung für Barbie-Puppen macht, ist das Werk so eigenständig und originell, dass es sich gar nicht wie Werbung anfühlt. Denn „Barbie“ ist ein erstaunlich innovativer und frischer Hollywood-Blockbuster, wie man ihn selten gesehen hat, und gleichzeitig eine Hommage an eine der berühmtesten Spielzeugpuppen aller Zeiten. Dafür musste Gerwig seltsame Wege gehen.

„Barbie“ ist ein wilder Genremix

Denn „Barbie“ vermischt mehrere eigenständige Genres zu einem Ganzen: Der Film pendelt zwischen schräger Satire, Fantasy-Märchen, Komödie und feministischer Agitation. Aus den verschiedenen Komponenten ergibt sich am Ende zwar kein komplett kohärenter Film, aber immerhin hat Gerwig etwas geschaffen, über das es sich nachzudenken und zu diskutieren lohnt. „Barbie“ strahlt nicht die kalte Strenge eines einfachen Produkts aus, auch wenn der Film im Kern genau das ist. Der Kalifornierin ist damit ein Kunststück gelungen.

Margot Robbie (Mitte) in „Barbie“ (© Warner Bros.)

Die visuellen Effekte und das Set-Design sind beeindruckend und verleihen „Barbie“ eine märchenhafte Ästhetik, die perfekt zur magischen Welt der Barbie-Puppen passt – da macht sich das pralle Budget bemerkbar. Die Szenen in Barbieland strahlen vor Farben und Lebensfreude, während die Darstellung der realen Welt subtile Anspielungen auf irdische soziale Probleme und Ungleichheiten enthält. Dazu geben die poppige Musik und die musicalhaften Tanzszenen dem Werk eine energiegeladene Dynamik.

Feministische Botschaft – präsentiert von Mattel

In diesem Gemisch aus Genres präsentiert, denn von versteckt kann keine Rede sein, Gerwig ihre drei Kernbotschaften: Das Patriarchat ist Mist, die amerikanische Geschäftswelt ist düster und empathielos und Frauen können alles erreichen, wenn sie nur wollen – gesponsert von Mattel. Der Übergang von Barbies Kunstwelt in die reale Welt, den die Figuren gelegentlich bestreiten, macht „Barbie“ wendig, weil sich dadurch die Naturgesetze ständig ändern und man sich manchmal wie in der „Truman Show“ fühlt. Es ist einfach urkomisch, wenn Ryans Goslings Beach-Ken nach einem Besuch in Los Angeles den Machismo in die Barbie-Welt trägt und stolz alle seine Accessoires mit Pferdesymbolen schmückt, weil er Männer auf Pferden in LA als wahrhaft männlich wahrgenommen hat.

Margot Robbie und Ryan Gosling begeistern in den Hauptrollen

Überhaupt geht Ryan Gosling („Blade Runner 2049“) in seinem platinblonden Plastiklook den ganzen Film über all-in, spielt am Rande der Selbstkarikatur, balanciert aber souverän auf diesem schmalen Grat. Herrlich, wenn die bockigen Kens am Strand inbrünstig Matchbox 20s „Push“ („I wanna push you around. Well, I will, well, I will. I wanna push you down. Well, I will, well, I will. I wanna take you for granted.“) auf der Gitarre spielen und singen, um gegen das Wiedererstarken des Matriarchats zu protestieren. Auch wenn seine Spezies am Ende verliert, darf Gosling noch mehr Ecken und Kanten zeigen als Margot Robbie („Babylon – Rausch der Ekstase“). Sie ist die absolut perfekte Stereotyp-Barbie. Ihre Darstellung fängt die Naivität und den Charme von Barbie ein, zeigt aber auch ihre innere Stärke und den Willen, für ihre Überzeugungen einzustehen. Sie wandelt sich zu einer nachdenklichen Frau, die über die Stellung ihres Geschlechts in der Gesellschaft reflektiert. Robbie glänzt mit Leichtigkeit und Tiefgang.

Ryan Gosling in „Barbie“ (© Warner Bros.)

Auch in den Nebenrollen fügen sich Stars wie America Ferrera („End Of Watch“) als Schicksal bestimmende Mattel-Mitarbeiterin und Ariana Greenblatt („65“) als deren Tochter harmonisch ein, nur Will Ferrell („Daddy’s Home“) als Mattel-CEO wirkt mit seinem gewohnt clownesken Spiel an dieser Stelle etwas deplatziert. Dafür machen Kate McKinnon („Ghostbusters“) als komische Barbie und Michael Cera („Juno“) als Running Gag „Allan“ Freude.

Wirrwarr der Handlungsstränge hemmt „Barbie“ manchmal

Denn trotz aller offen feministischen Botschaften, die so manchem Konservativen in den USA schwer im Magen liegen, macht „Barbie“ einfach Spaß. Doch nicht jeder Einfall ist ein Volltreffer. Der an Stanley Kubricks legendären Prolog zu „2001 – Odyssee im Weltraum“ angelehnte Vorspann von „Barbie“, in dem Kinder im gleichen Setting beginnen, Puppen in der Urzeit zu zertrümmern, ist gut gemeint, sieht aber eher wie ein mittelmäßiger „Saturday Night Live“-Sketch aus. Zudem gerät der Film gelegentlich ins Stocken, wenn Gerwig versucht, zu viele Handlungsstränge und Nebenfiguren nebeneinander zu jonglieren. Dadurch gehen einige der wichtigen Botschaften und emotionalen Momente im Erzählwirrwarr etwas verloren. Und auch gegen Ende merkt man, dass die Autoren Mühe haben, ihre Geschichte zu einem für alle Seiten befriedigenden Abschluss zu bringen.

Fazit: Greta Gerwigs satirisches Fantasy-Märchen „Barbie“ ist nicht nur eine quietschbunte, unterhaltsame Achterbahnfahrt, sondern im Kern ein vielschichtiger und mutiger Film, der die für Kommerz und Künstlichkeit stehenden Barbie-Puppen in einem neuen Licht zeigt und eindringliche feministische Botschaften vermittelt. Margot Robbie und Ryan Gosling brillieren in ihren Rollen und verleihen den Charakteren Tiefe und Charme.

Deutscher Kinostart von „Barbie“: 20. Juli 2023.

Wertung 3,5 / 5
Produktionsland

USA 2023

Cast & Crew

Margot Robbie

Stereotyp-Barbie

Ryan Gosling

Beach-Ken

Will Ferrell

CEO von Mattel

America Ferrera

Gloria, Mattel-Angestellte

Rhea Perlman

Ruth Handler

Ariana Greenblatt

Sasha, Glorias Tochter

Kate McKinnon

komische Barbie

Issa Rae

Präsidentin-Barbie

John Cena

Wassermann-Ken

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