Babylon – Rausch der Ekstase
Ein chaotischer Express der Eitelkeiten über die Liebe und den Hass auf Hollywood
Die Karriere von Damien Chazelle ging bisher steil bergauf. Durchbruch mit der Indie-Sensation „Whiplash“ (2014), Welterfolg mit dem bezaubernden Hollywood-Musical „La La Land“ (2016), Kritikerlob und solide Box-Office-Zahlen mit dem ambitionierten Neil-Armstrong-Biopic „Aufbruch zum Mond“ (2018) – und jetzt das! Mit der starbesetzten Extravaganz „Babylon – Rausch der Ekstase“ fällt der Hot-Shot-Regisseur das erste Mal so richtig auf die Schnauze! Mit einem Budget von mindestens 78 Millionen Dollar (andere Quellen sprechen sogar von 110 Millionen) ist das rauschende Hollywood-Drama an der amerikanischen Kinokasse mit nur 15 Millionen Dollar heftig abgestürzt – trotz hervorragender Besetzung, einem hochtalentierten Regisseur und einem Film, der diese kommerzielle Bruchlandung nicht verdient hat. Verwunderlich ist dieser Absturz allerdings nicht. Das hedonistische Drei-Stunden-Epos, das von den Anfängen und Exzessen der Traumfabrik erzählt, wird ironischerweise zur selbsterfüllenden Prophezeiung, was Chazelles Schicksal betrifft. Der Filmemacher zeichnet den Aufstieg und brutalen Niedergang der Stummfilmstars im Haifischbecken Hollywood mit größtmöglicher Geste nach, romantisiert diese Ära, um sie dann mit einem Rumms zu zertrümmern. Ein handwerklich überragender, mitreißender Film, der spektakulär daran scheitert, eine Verbindung zum Massenpublikum herzustellen. Deshalb wird Chazelle in Zukunft leider kleinere Brötchen backen müssen.
Los Angeles, 1926: Das unbekannte Starlet Nellie LaRoy (Margot Robbie) will in Hollywood mit aller Macht zum Filmstar werden. Mit Hilfe des Event-Managers Manuel „Manny“ Torres (Diego Calva) schleicht sich die ehrgeizige Schönheit auf die rauschende Megaparty eines Studiobosses. Nach ein paar Nasen Koks freunden sich die junge Frau aus einfachen Verhältnissen und der Sohn mexikanischer Einwanderer an. Zwei Underdogs. Die spärlich bekleidete Nellie spielt sich im Rausch der Nacht in den Mittelpunkt und hat ihre erste Filmrolle sicher, als eine Nebendarstellerin nach einer Überdosis Drogen ausfällt. So wie Nellie LaRoy vor der Kamera im Filmgeschäft aufsteigt, klettert Manny dahinter die Karriereleiter steil nach oben – zunächst als eifriger Assistent des exzentrischen Hollywood-Superstars Jack Conrad (Brad Pitt), später als Produzent und Studioleiter. Immer wieder kreuzen sich ihre Wege. Als Ende der 1920er Jahre der Stummfilm vom Tonfilm abgelöst wird, beginnt der langsame, aber unaufhaltsame Niedergang von Nellie LaRoy und Jack Conrad. Nellie hat nicht die Manieren und die Bildung für die neue Ära, und Jack hat nicht die Stimme, die zu seinem Image als machohafter Liebhaber passt.

Regisseur Damien Chazelle setzt alles auf eine Karte
Eines muss man Damien Chazelle lassen: Der Mann hat Mumm! Mit „Babylon – Rausch der Ekstase“ geht er all-in und dreht einen Film, der vor Selbstbewusstsein nur so strotzt und Dekadenz vom Feinsten zelebriert. Er zeigt die ganze Liebe der Menschen zur Traumfabrik, feiert den Enthusiasmus und legt gleichzeitig den Hass auf das Showbusiness, das so absolut gnadenlos ist, offen. Der Filmemacher hebt Hollywood auf den Olymp und reißt das errichtete Denkmal dann mit lautem Getöse wieder ein, dekonstruiert Hollywood als Ort der Verdammnis. Das muss man sich erst einmal leisten können. Aber der Regisseur und Drehbuchautor hat es sich verdient – und nach dem kapitalen Flop des Films gleich wieder verspielt. In absehbarer Zeit wird ihm kein Studio mehr bedingungslos so viel Geld in die Hand drücken.
Herausragende Eröffnungssequenz geht 32 Minuten
Vielleicht waren alle Beteiligten noch geblendet von Quentin Tarantinos überraschendem Riesenerfolg mit dem ähnlich konzipierten und vergleichbar teuren Hollywood-Drama „Once Upon a Time… In Hollywood” (2019). Auf die kleinen, aber feinen Unterschiede hat offenbar niemand geachtet. Handwerklich braucht sich Chazelle nicht hinter der Klasse von Tarantinos Meisterwerk zu verstecken. Allein die 32-minütige (!) Eröffnungssequenz, die die exzentrischen Auswüchse der Megaparty vor den Toren von Los Angeles zeigt und die wichtigsten Figuren elegant einführt, ist von unbändiger filmischer Kraft. Detailverliebte Ausstattung, hervorragende schauspielerische Leistungen – alles ist da, nur eines hat Chazelle beim Schreiben seines Films vergessen: „Babylon – Rausch der Ekstase“ bietet einem Publikum abseits der Filmnerds kaum Möglichkeiten, sich emotional an die Figuren und ihre Geschichten anzudocken. Als Brad Pitt als zwielichtiger Stuntman Booth in „Once Upon a Time… In Hollywood” die großmäulige Martial-Arts-Legende Bruce Lee mit einem Handkantenschlag kurios verprügelte, fieberte das Publikum mit und brüllte vor Lachen und Staunen über so viel Coolness, bei „Babylon – Rausch der Ekstase“ bleibt dagegen oft eine Distanz zu den drei Hauptfiguren. Das ist schade.

Grandioses Bewegtbildkunstwerk
„Babylon – Rausch der Ekstase“ funktioniert am besten als grandioses Bewegtbildkunstwerk. Der Film steckt voller kleiner und großer Details. Exemplarisch dafür steht eine der ersten Sequenzen, in der ein durchgeknallter Studioregisseur, nur mit weißem Unterhemd und Schlabberhose bekleidet, dem Wahnsinn nahe, bei einer Massenszene zehn Kameras schrottet. Hektisch schickt er Manny in die Stadt, um schnell Ersatz zu besorgen. Chazelle inszeniert diese furiose Jagd nach Licht und gegen die untergehende Sonne als Kampf auf Leben und Tod. Das ist Raserei pur. Ein Tollhaus! Als Zuschauer hält es einen kaum im Kinositz. Dabei passiert in der ersten Stunde der Handlung kaum etwas, Chazelle tobt sich in seinen bombastischen Set Pieces aus. „Babylon – Rausch der Ekstase“ strotzt nur so von diesen Kunststücken – vor allem die Szenen an den Sets versprühen eine unglaubliche Energie. Doch im Prinzip dürfte jedem Zuschauer schon nach der extravaganten Eröffnungssequenz, in der Manny einen Showelefanten für die Party einen steilen Berg hinaufschaffen will, klar sein, worauf man sich hier einlässt. Für die Massen zu inszenieren, ist Chazelle offensichtlich nicht gelungen – für Filmliebhaber schon. „Babylon – Rausch der Ekstase“ ist wie eine rauschhafte Varieté-Show.

Diego Calva, Margot Robbie, Brad Pitt: starke Schauspieler
„Du wirst kein Star. Entweder bist du ein Star oder nicht.“ Das sagt Nellie LaRoy schon früh im Film und lebt diese Weisheit auf der Leinwand. Margot Robbie („The Wolf Of Wall Street“) spielt das frühe It-Girl Nellie als ungehobelten, selbstzerstörerischen Wildfang ohne Rücksicht auf ihre Umwelt, was schließlich zu ihrem Untergang führt, während Diego Calva („I Promise You Anarchy“) den Aufsteigertraum des erfolgreichen Mexikaners mit viel Verve verkörpert. Und auch Brad Pitt („Bullet Train“) hat als schillernder Filmstar sichtlich Spaß daran, es so richtig krachen zu lassen, um den Schlagworten Exzess und Ekstase, die den Film durchziehen, Nachdruck zu verleihen. Im Gegensatz zu Nellie LaRoy, deren Charakter weitgehend fiktiv ist, basiert Pitts Figur Jack Conrad auf einem realen Vorbild – dem Stummfilmstar John Gilbert, der beim Übergang zum Tonfilm seinen Status verlor. Dennoch nimmt man an diesen Schicksalen nur begrenzt Anteil, vielleicht am ehesten noch bei Manny. Es ist mehr dieses Füllhorn des Spektakels, das anzieht. Irgendwann taucht dann Alt-Spider-Man Tobey Maguire („Bauernopfer“) auf und dreht als Gangsterboss mit den furchterregendsten Augenringen Hollywoods völlig frei. Die Nebenrollen sind voll mit Starauftritten. Ein Genuss.
Fazit: Das extravagante Period-Drama „Babylon – Rausch der Ekstase“ ist ein chaotischer Express der Eitelkeiten über Liebe und Hass auf das System Hollywood – kaum eine Szene in diesen rastlosen 188 Minuten ruht in sich. Regisseur Damien Chazelle steht permanent auf dem Gaspedal – als hätte Martin Scorsese das irrwitzige Stakkato-Tempo der ersten 60 Minuten von „Casino“ drei Stunden lang durchgehalten. Das bedeutet Schwerstarbeit für das Publikum, nicht jeder kann bei diesem irren Tempo mitgehen.
Deutscher Kinostart von „Babylon – Rausch der Ekstase“: 19. Januar 2023.
Seit 6. April 2023 auf Blu-ray & DVD erhältlich.
Wertung | 4 / 5 |
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Produktionsland | USA 2022 |
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