Asteroid City
Ein visuelles Bravourstück, das in Schönheit stirbt
Nach nur wenigen Einstellung von „Asteroid City“ ist kristallklar, dass man in einem Wes-Anderson-Film sitzt. Kaum ein anderer aktueller Filmemacher hat eine so prägnante Handschrift in der Inszenierung. Und wenn der Indie-Liebling ruft, kommen alle – wie einst bei dem mittlerweile gecancelten Woody Allen zu seinen Glanzzeiten. Das unfassbare Staraufgebot der Tragikomödie über seltsame Ereignisse in einem kleinen amerikanischen Wüstenkaff in den 50er Jahren ist fast absurd, selbst in winzigen Rollen tauchen bekannte Gesichter auf. Ebenso atemberaubend sind die (künstlichen) Kulissen des titelgebenden Asteroid City. Und doch gehört diese Hommage an die Science-Fiction-Katastrophenfilme des alten Hollywoods nicht zu Andersons besten Filmen, denn bei aller zelebrierten Schönheit der Bilder will „Asteroid City“ partout keine Verbindung zum Publikum aufbauen.
September 1955: Das abgelegene 87-Seelen-Dorf Asteroid City irgendwo in der amerikanischen Wüste ist berühmt. Vor 3.000 Jahren schlug hier ein Meteorit ein und hinterließ einen Krater, der zur Pilgerstätte wurde. Außerdem beherbergt der Ort ein Observatorium der US-Regierung. Und einmal im Jahr kommen junge Erfinder mit ihren Eltern nach Asteroid City, um für ihre Projekte ausgezeichnet zu werden. Da ist zum Beispiel der clevere Woodrow (Jake Ryan), der mit seinem Vater, dem frisch verwitweten Augie Steenbeck (Jason Schwarzman), und seinen Geschwistern anreist. Der Kriegsfotograf verschweigt seinen Kindern den Tod seiner Frau schon seit drei Wochen, weil er nicht den richtigen Zeitpunkt für die Wahrheit findet. Auch sein reicher Schwiegervater Stanley Zak (Tom Hanks) kommt nach, um ihn zu unterstützen, obwohl er seinen Schwiegersohn eigentlich gar nicht leiden kann. Und dann ist da noch der Dramatiker Conrad Earp (Edward Norton), der versucht, ein neues Stück zu schreiben. Als ein Außerirdischer mit seinem Raumschiff landet, um den Meteoriten aus dem Krater mitzunehmen, wirft das die Pläne aller Beteiligten über den Haufen. Denn das US-Militär stellt Asteroid City unter Quarantäne.

Sensationelle Ästhetik
Die größte Stärke von „Asteroid City“ liegt zweifellos in der visuellen Gestaltung. Wes Anderson („The Royal Tenenbaums“, „Rushmore“) enttäuscht nie, wenn es darum geht, magische Welten zu erschaffen, und dieser Film ist keine Ausnahme. Bei Anderson wirken die Sets immer wie ein eigenes Universum. Die detaillierte Ausstattung, die bunte Farbpalette und die streng-präzise Komposition der Einstellungen erzeugen eine ästhetische Pracht. Andersons Liebe zum symmetrischen Detail ist in jedem Frame spürbar. Und doch isoliert sich der eigenbrötlerische Indie-Regisseur immer mehr von seinem Publikum, vielleicht mehr als je zuvor. Dieser schleichende Prozess ist seit einigen Jahren zu beobachten. Die Zeiten seiner bislang letzten großen Publikumserfolge „Moonrise Kingdom“ (2012) und „The Grand Budapest Hotel“ (2014) liegen schon länger zurück. Und „Asteroid City“ ist ein unwiderlegbares Dokument dafür, dass Anderson einstweilen den Touch für seine Zuschauerschaft verloren hat.
Figuren dringen nicht zum Publikum durch
Denn so gut sein Werk durchdacht ist, so skurril und spannend die Inhaltsangabe klingt, der Film verbindet sich nicht. Kein einziger der vielen Charaktere verfängt. Nicht nur die Inszenierung ist (bewusst) septisch, auch die Figuren sind es. Das macht „Asteroid City“ zu einer klinisch anmutenden Versuchsanordnung. Am interessantesten ist noch die zarte Annäherung zwischen dem von Jason Schwarzman („Moonrise Kingdom“) spröde gespielten Kriegsfotografen Augie und der Schauspielerin Midge, die von Superstar Scarlett Johansson („Black Widow“) als Filmstar der alten Schule verkörpert wird. Ihre Darstellung hat etwas von Marilyn Monroe, geht aber über deren Naivität hinaus, zeigt Verletzlichkeit und Stärke gleichermaßen. Diese feineren Nuancen sucht man sonst eher vergeblich, weil Anderson seinen Ensemblefilm mit so vielen kleinen Rollen überfrachtet, deren Bedeutung durch die Starbesetzung überhöht wird. Das hemmt auch den Spielfluss.

Anderson bewahrt sein Talent für beiläufig skurrile Momente
Dennoch sorgt das Staraufgebot immer wieder für Aha-Effekte, wenn Tom Hanks („Ein Mann namens Otto“) als knorriger Schwiegervater im silbernen „Sully“-Look grantelt, Steve Carell („Foxcatcher“) als Motelmanager skurrile Geschichten erzählt oder Tilda Swinton („Memoria“) als Astronomin Dr. Hickenlooper über Außerirdische philosophiert. Seinen einzigartigen Humor, der sich oft in trockenen Dialogen und exzentrischen Charakteren ausdrückt, hat Anderson nicht verloren. In einer Szene bildet sich im Hintergrund gerade ein riesiger Atompilz. „Was war das?“, fragt eine der Figuren trocken. „Ein Atombombentest“, lautet die nüchterne Antwort. Näher wird nicht darauf eingegangen. Das ist typisch Wes Anderson. Die Komik entsteht nicht nur aus den Dialogen, sondern auch aus visuellen Details und absurden Situationen.
Strenge Aktstruktur macht den Film statisch
Dass „Asteroid City“ trotz all seiner Qualitäten zu verkopft daherkommt, zeigt sich in einem separaten schwarz-weißen Handlungsstrang, in dem Anderson Edward Norton („Glass Onion: A Knives Out Mystery“) als Dramatiker an einem Theaterstück über die Unendlichkeit arbeiten lässt. Es soll offenbar das verbindende Element der gesamten, starr und statisch in Akte gegliederten Erzählung sein, wirkt aber letztlich isoliert und entlarvend, wenn Schauspieler aus der Haupthandlung die vierte Wand durchbrechen und hier vorbeischauen. Wes Anderson hat sich am Ende in seinem eigenen Metaverse verheddert. Einen unvergesslichen Moment produziert dieser Erzählstrang aber dennoch. „Independence Day“-Ikone Jeff Goldblum („Jurassic Park: Ein neues Zeitalter“) als Alien ist einfach unbezahlbar.

Fazit: Wes Anderson kreist in seiner skurrilen Tragikomödie „Asteroid City“ wie nie zuvor um sich selbst und lässt das Publikum trotz einer einzigartigen, detailverliebten Ästhetik, einem überragenden Produktionsdesign und einem fast schon unverschämten Staraufgebot weitgehend außen vor. Denn diese Hommage an die 50er Jahre ist letztlich ein kühler Film, der nirgendwo andockt. Nur noch für Hardcore-Anderson-Fans.
Deutscher Kinostart von „Asteroid City“: 15. Juni 2023.
Wertung | 3 / 5 |
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Produktionsland | USA 2023 |
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