Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste
Ein vielschichtiges, aber nicht immer ausgewogenes Porträt einer unkonventionellen Künstlerin
Regie-Ikone Margarethe von Trotta („Rosa Luxemburg“) wagte sich mit „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ an die Verfilmung des Lebens der titelgebenden österreichischen Lyrikerin. Diese wurde im 20. Jahrhundert zu einer der bedeutendsten weiblichen Stimmen ihrer Zeit und zeichnete sich durch den radikalen Drang aus, alles in Frage zu stellen – gegen die bequemen Gewissheiten der sie umgebenden Männer. Dieses Streben und ihr Hang zur intellektuellen Herausforderung erinnern an die berühmte Denkerin Hannah Arendt, deren Leben von Trotta bereits 2012 mit großem Erfolg verfilmt hat. Ingeborg Bachmann und Hannah Arendt, zwei starke Frauen, die den Status quo herausforderten – eine faszinierende Parallele. Doch das Niveau und die erzählerische Dichte ihres Kinoporträts „Hannah Arendt“ erreicht von Trotta mit ihrem biografischen Drama „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ nicht ganz, dafür bleibt die Regisseurin in einigen Punkten zu vage.
Die junge österreichische Dichterin Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps) lernt 1958 in Paris den berühmten Schweizer Dramatiker und Schriftsteller Max Frisch (Ronald Zehrfeld) kennen. Die Anziehungskraft zwischen den beiden Künstlern führt zu einer leidenschaftlichen Romanze, die Bachmann veranlasst, in sein Haus in Zürich zu ziehen. In den folgenden Jahren führen sie eine intensive und zerstörerische Beziehung. Künstlerische Differenzen und Frischs überwältigende Eifersucht trüben die Harmonie und bringen Bachmann allmählich an den Rand des Zusammenbruchs. Auch lange nach dem Ende der Liaison lässt sie die Erinnerung an ihre Liebe zu Max Frisch nicht los. Auf der Suche nach Heilung und in dem Versuch, sich von den Schatten der gemeinsamen Zeit zu befreien, begibt sie sich 1964 mit dem jungen Wiener Schriftsteller Adolf Opel (Tobias Resch) auf eine Reise nach Ägypten. Er wird ihr Geliebter und lädt sie zu einem Abenteuer in die Wüste ein. Bachmann findet die Möglichkeit, sich von den Lasten ihrer Vergangenheit zu befreien.

Ingeborg Bachmanns Liebe zu Max Frisch dominiert die erste Hälfte
Margarethe von Trotta erzählt die Geschichte von den Höhen und Tiefen einer leidenschaftlichen Liebe, großer Eifersucht und von der Suche nach Heilung und Selbstfindung in der scheinbar endlosen Weite der ägyptischen Wüste. Das Drama folgt einer nicht-linearen Erzählstruktur und zeigt zwei entscheidende Phasen im Leben Ingeborg Bachmanns. Zum einen wird die tiefe Krise beleuchtet, die aus ihrer problematischen Verbindung zu Max Frisch („Homo Faber“) resultierte, einem Biedermann, der mit ihrer wachsenden Berühmtheit und Bewunderung nicht umgehen konnte. Die Darstellung dieser toxischen Beziehung ist schonungslos ehrlich und zeigt die dunklen Seiten ihrer Liebe, die von Eifersucht und Kontrolle geprägt war.
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Auf der anderen Seite erfahren wir von ihrer Reise mit Adolf Opel in die ägyptische Wüste. In diesem Handlungsstrang erleben wir eine befreite, authentische Ingeborg Bachmann, die sich von gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen emanzipiert. Die Wüste wird zum symbolischen Raum der Transformation, in dem sie sich selbst neu entdeckt und heilt. Dieser visuelle Kontrast zwischen den beiden Handlungsebenen wird durch die Kameraarbeit eindrucksvoll unterstützt. Vicky Krieps („Der seidene Faden“) spielt die siechende Ingeborg Bachmann zerbrechlich und kränklich, und doch ahnt man im Verlauf des Films immer wieder ihre große innere Stärke, die sie zu einer der bedeutendsten Lyrikerinnen ihrer Zeit gemacht hat. Ihr Charakter, immer gegen Widerstände anzugehen, drohte unter Frischs Einfluss zu zerbrechen.
Von Trotta verschweigt dem Publikum Ingeborg Bachmanns Ende
Leider vernachlässigt der Film einige entscheidende Aspekte im Leben der Dichterin. Das Ende Ingeborg Bachmanns, ihr tragischer Tod, wird bedauerlicherweise nicht thematisiert oder auch nur im Abspann erwähnt. Dieses schockierende Ereignis ist ein wichtiger Teil ihrer Lebensgeschichte und hätte der Handlung eine tiefere Dimension verleihen können. Bachmann starb 1973 in Rom im Alter von 47 Jahren bei einem Zimmerbrand – vermutlich war die tablettenabhängige Kettenraucherin mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen. Ein unwürdiges Ende einer glanzvollen Künstlerkarriere. Dass von Trotta diese Information ihrem Publikum vorenthält, ist einerseits bezeichnend, andererseits aber auch konsequent, denn die Regisseurin will die große Lyrikerin nicht darauf reduzieren. Und wer erst nach dem Film erfährt, wie Bachmann gestorben ist, wird das hundertprozentig nachvollziehen können und es fast als logisch empfinden, wie es dazu gekommen ist.

Viel Beziehung(en), wenig Kunst
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Hervorhebung des Liebeslebens Ingeborg Bachmanns gegenüber ihrem literarischen Werk. Von Trotta neigt dazu, sich mehr für die Beziehungen zu den Männern in ihrem Leben zu interessieren, als Bachmanns literarische Bedeutung und kulturelle Relevanz angemessen zu würdigen. Dies führt zu einem etwas einseitigen Bild der Künstlerin, die mehr mit sich selbst zu kämpfen hat, als mit der Kunst, die sie zweifelsfrei hinterlassen hat.
Fazit: Margarethe von Trottas Biopic-Drama „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ ist einerseits ein vielschichtiges und tiefgründiges Porträt des Privatlebens der österreichischen Dichterin, andererseits kommt die Würdigung des Werks der furchtlosen Künstlerin zu kurz. Dennoch ist der Film eine würdige Hommage an eine starke Frau, die radikal alles in Frage stellte und sich den bequemen Gewissheiten ihrer Zeit entzog.
Deutscher Kinostart von „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“: 19. Oktober 2023. Wir haben den Film bei der Berlinale 2023 gesehen.
Wertung | 3 / 5 |
---|---|
Produktionsland | Schweiz/Österreich/Deutschland/Luxemburg 2023 |
Cast & Crew
Vicky Krieps
Ronald Zehrfeld
Tobias Resch
Basil Eidenbenz
Luna Wedler
Marc Limpach
Roberto Carpentieri
Katharina Schmalenberg
Regie
Drehbuch
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